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Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Titel: Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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lieber umgekehrt.
Ich fange mit dieser Hand an. Frage, was in diesen Türkenläden eigentlich so
läuft und setze die Islamisierungsnummer dahinter. Klar! So herum ist die Sache
wesentlich besser!
     
    *
     
    Gleich nachdem er aus dem Schlaf erwacht, stellt er sich immer wieder die
zwei gleichen Fragen: »Wo bin ich hier und welcher Tag ist heute?« Seit
unzähligen Tagen geht das bereits so, mehrere Wochen lang, so weit er sich
erinnern kann. Er kann aber nicht mehr sagen, wie viele es genau sind. Der
Raum, in dem er sich befindet, ist ein zeitliches Vakuum, begrenzt von
schmutzig weißen Wänden, zwei mal drei Meter groß. Das einzige Fenster ist von
außen mit Holzklappen fest verschlossen, so dass kein Tageslicht eindringen
kann. An der niedrigen Decke brennt tagaus, tagein eine mickrige Glühbirne. Es
gibt eine Heizung, ein Chemieklo, ein Waschbecken, eine Matratze und einen
Stuhl, neben dem eine Kiste Wasser steht. Volvic in Plastikflaschen.
    Nur
an seine Ankunft kann er sich noch erinnern. Er war damals noch ziemlich
benommen in diesen Raum getorkelt. Man hatte ihm gleich eine Kette, die in der
Wand verankert ist, um das rechte Fußgelenk gelegt und mit einem Schloss
befestigt.
    Er
setzt sich auf. Sein Knöchel schmerzt. Die eng anliegenden Eisenglieder drücken
nach wie vor, er hat sich nicht daran gewöhnt. Fremde Männer haben ihn an die
Kette gelegt, eingesperrt, der Freiheit beraubt. Er weiß nicht warum, so lange
er auch nachdenkt. Die meiste Zeit starrt er an die Wand, geht seinen
Wachträumen nach oder schläft. Unterbrochen wird das Ganze von einer vermummten
Person, die das Essen bringt, meistens Lammfleisch mit Reis, Gemüse und Brot.
Ansonsten gibt es nur die Geräusche von außerhalb. Sie geben ihm eine Ahnung
von dem Leben, das da draußen stattfindet.
    Am
Anfang hatte er sich bemüht, durch diese Geräusche ein Zeitgefühl zu erhalten,
einzuschätzen, wie viele Tage vergangen waren, ob es früh am Morgen oder eher
spät am Abend war. Später hatte er alles nutzlos gefunden und sich in eine Art Nebel
des Ewigen eingerichtet. Nur eins blieb klar, die Zeit stand nicht still.
Immerhin sind die Vögel da. In der Frühe erheben sie ihre Stimmen, wohl so
gegen sechs Uhr morgens. Besonders ein aufdringlicher Gesang reisst ihn
regelmäßig aus dem Schlaf und kommt anscheinend immer aus demselben Baum, vom
selben Vogel. Von der Lautstärke her muss er gleich hinter der Mauer,
unmittelbar über dem Kopfende seiner Matratze sitzen. Er weiß nicht, welche
Vogelart dieser Sänger ist, nur, dass er schwarz ist, mit gelbem Schnabel und meist
über den Boden huscht. Daneben gibt es noch das Brüllen der Kühe und die leisen
Stimmen und Geräusche im Haus. Manchmal hört er den Motor eines Autos, das
wegfährt oder wiederkommt. Einmal klingelte ein Handy, einmal während der
ganzen Zeit. Das musste schon ewig her sein. Außerdem gibt es das Geratter
eines Zuges, der fast stündlich ziemlich in der Nähe vorbeifährt und kurz nach
dem Passieren des Hauses zwei schrille Pfeiftöne ausstößt. Kurz darauf kommt
ein Zug aus der entgegengesetzten Richtung. Die Strecke muss im Pendelverkehr
befahren werden. An einem Tag hatte er die Zeit zwischen den wiederkehrenden
Pfiffen ausgezählt und war auf die Zahl 4.960 gekommen. Er hatte den Schluss
gezogen, viel schneller als im Sekundentakt gezählt zu haben und rechnete sich
danach aus, dass die Züge wohl einmal in der Stunde vorbeigekommen waren. Ein
anderes Mal hatte er gezählt, wie oft die beiden Züge an einem Tag das Haus
passieren. Es gab eine längere Zeitspanne, in der keine Geräusche zu hören
waren. Daraus hatte er abgeleitet, dass sie in der Nacht nicht fahren. Das
Ergebnis für den Tag war neunzehn Mal gewesen.
    Mittlerweile
hört er die Geräusche als monotonen Sphärenklang, hat aufgegeben, sie an reale
Minuten und Stunden zu knüpfen. Er erinnert sich, vor unendlicher Zeit etwas
über das Zeitempfinden bei Melancholiekranken gelesen zu haben. Die Erkrankten
empfinden die vor ihnen liegende Zeit als unendlich gedehnt. Sie haben den
Eindruck, dass ihr hoffnungsloser Zustand niemals endet, zeitlos ist.
    Erst
jetzt begreift er, wie es einem Melancholiekranken zu Mute sein musste. Auch in
ihm fließt nur noch der Strom der Gedanken. Die Zeit steht still. Es ist ihm,
als wenn sie kurz vor seiner Apokalypse gestoppt hat, den physischen Untergang
verhindern möchte, nur noch von jetzt zu jetzt tickt. Wann springt der
Uhrzeiger weiter? Ihn erfasst Todesangst.

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