Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
über den Horizont. Swensen versucht, den nahenden
Wetterumschwung zu ignorieren, guckt demonstrativ zum sonnigen Ufer hinüber.
Doch die Wolken ziehen mit rasanter Geschwindigkeit heran. Anna verzieht
zusehends das Gesicht.
»Ich
könnte mir in den Arsch treten«, murmelt sie leise vor sich hin. »Warum
vertraue ich nicht auf meine innere Stimme, sondern auf das, was Jan Swensen
daherredet?«
Eine
pechschwarze Wolkendecke treibt sich über ihren Köpfen zusammen, Wind kommt
auf. Die ersten Regentropfen treffen Swensens Hemd. Anna stapft genervt neben
ihm her. In der Ferne sind die Pfahlbauten von St. Peter-Dorf auszumachen. Es
regnet sich unaufhaltsam ein. Anna hat sich ihre Wolljacke über den Kopf
gezogen. Swensens Hemd klebt wie ein nasser Lappen an seinem Körper. Weil er
Feuchtigkeit nicht ausstehen kann, beißt er die Zähne zusammen und schreitet
stoisch voran. Der Schlickboden ist glitschig geworden, ab und zu sinkt er bis
zum Knöchel ein. Anna beschleunigt ihr Tempo, geht über zehn Meter vor ihm und
erreicht den ersten Pfahlbau. Im selben Moment stoppt der Regen urplötzlich.
Als Swensen eintrifft, ist der Himmel bereits wolkenlos blau.
»Super
Timing«, knurrt er. »Jetzt, wo wir uns endlich unterstellen können, scheint die
Sonne wieder.«
»So
ist das!«, stichelt Anna. »Wer den Schaden hat, spottet aller Beschreibung.«
Sie
lugt mit triefenden Haaren unter der Wolljacke hervor und grinst. Ihr Ärger
scheint verflogen. Die Sonne wärmt sogar ein wenig, und der leichte Seewind
pustet die Klamotten in Kürze wieder trocken. Von den Pfahlbauten führt eine
kleine Straße bis zum Deich, dessen Meerseite bis zur Krone geteert ist. Auf
dem festen Untergrund lässt es sich zügig voranmarschieren. An einigen Stellen
wird die Teerdecke von der Sonne so erhitzt, dass die Feuchtigkeit zu
verdampfen beginnt. Es entstehen feine Nebelschwaden, die sich landeinwärts über
den Deich kräuseln. In knapp einer Stunde erreichen sie ihren Parkplatz im Watt
und beschließen, nach Husum zu fahren, um sich am Hafen im Eiscafé Ferrari mit einem Krokantbecher von den Strapazen zu erholen.
Auf
der Geraden von Kotzenbüll nach Harblek bringt Swensen seinen Polo vor der
Auffahrt zu dem einsamen Gehöft zum Stehen. Anna sieht ihn fragend an. Er setzt
eine grüblerische Miene auf.
»Warum
hältst du mitten in der Walachei an?«
»Es
dauert nicht lange«, sagt er im Tonfall der Überzeugung.
»Was
dauert nicht lange?«
»Sich
das Bauernhaus anzusehen.«
»Wieso
denn das? Willst du ein Bauernhaus kaufen?«
»Nein,
das hier hat vielleicht was mit unserem Mordfall zu tun.«
»Ich
glaub’s nicht. Wir machen zusammen eine Sonntagstour und du willst
zwischendurch mal kurz zum Ermitteln verschwinden? Das ist nicht dein Ernst,
Jan Swensen!«
»Wenn
ich schon zufällig vorbeikomme, kann ich doch kurz einen Blick drauf werfen.«
»Es
ist dein Ernst!«
»Bin
wirklich gleich zurück«, sagt er knapp, springt aus dem Wagen und eilt über das
Kopfsteinpflaster der Auffahrt in den Hof. Das lang gezogene Reetdachhaus wurde
im dänisch-friesischen Stil erbaut. Das harte Wetter an der Küste hat die
Außenfassade gezeichnet. An den weiß getünchten Ziegelwänden blättert bereits
die Farbe ab und an vielen Stellen gibt es massiven Moosbewuchs. Die mit
Paneelen verzierte Haustür besteht nur noch aus blankem Holz, das von
Trockenrissen überzogen ist. Swensen drückt die marode Klingel und kann den
schrillen Ton deutlich hören, doch im Inneren rührt sich nichts. Gegenüber
steht ein größerer Holzschuppen, die blaue Plastikregentonne davor ist
umgestürzt. Mitten im Hof liegt ein einsamer Spaten, der ihn neugierig macht.
Er geht darauf zu. Auf dem Kopfsteinpflaster daneben gibt es eine Spur aus strahlenförmigen
Flecken. Der Kommissar kniet nieder und sieht sie sich aus der Nähe an.
Könnten
Blutflecken sein, denkt er. Müssen aus einiger Höhe herabgetropft sein.
Vielleicht hatte jemand Nasenbluten?
Er
schaut auf die Uhr und geht in schnellen Schritten zurück zum Wagen. Anna macht
ein versteinertes Gesicht, sagt aber kein Wort.
»Es
waren keine zehn Minuten«, sagt er und grinst verlegen.
»Es
waren genau siebzehn Minuten!«, kontert Anna energisch.
Swensen
weiß, dass er jetzt lieber seinen Mund hält. Er legt den Gang ein und fährt in
Richtung Harblek.
Wenn
das Blutspuren sind, denkt er, dann hat sich dort vor nicht allzu langer Zeit
ein Mensch rumgetrieben. Grund genug, sich das Gebäude nochmal
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