Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
Journalistin
lässt ihren Blick ununterbrochen über das Geschehen gleiten. In der Nähe fällt
ihr ein junges Mädchen auf, das zwischen mehreren Jungen steht, die
provozierend herumfeixen. Sie stutzt einen Moment. Die Jugendlichen kommen ihr
irgendwie bekannt vor.
Richtig,
erinnert sie sich, die hab ich damals bei der Recherche zu den türkischen
Jugendlichen gesehen. Da hat mich die gleiche Gang vom Schulgelände aus
lauthals angepöbelt. Wird höchste Zeit, dass die erwachsen werden.
Ein
Notarztwagen ist vorgefahren. Die Verkäuferin aus der Kosmetikabteilung wird
von zwei Beamten hinausbegleitet. Sie steigt in einen Krankenwagen, der mit
Blaulicht davonfährt.
Die
Verkäuferin, schießt es der Journalistin durch den Kopf. Ich muss mit dieser
Verkäuferin reden.
*
Swensen steuert seinen Polo rechts in den Erichsenweg. Er drosselt die
Geschwindigkeit auf dreißig Stundenkilometer. Nach hundert Metern macht die
Straße einen scharfen Linksknick. Er parkt in Höhe des Sportplatzes und geht
das kleine Stück zum Krankenhaus zu Fuß. Vor der Auffahrt hält ein Taxi. Er
sieht, wie Maria Teske aussteigt und auf die Eingangstür zueilt. Sein forscher
Schritt wird sofort langsamer. Auf Smalltalk mit der Presse hat er nicht den
geringsten Bock. Als die Journalistin nicht mehr zu sehen ist, nimmt er den Weg
durch den Seiteneingang. Über eine Steintreppe geht es in den Keller zur
Pathologie. Vor der Eingangstür steht ein untersetzter Mann mit rundem Gesicht
und dunkelblonden, kurzen Haaren. Er trägt einen grünen Kittel. Der Mundschutz
baumelt ihm vor der Brust. Als Swensen den Flur herunterkommt, beißt er gerade
in eine Wurststulle.
»Gut,
dass ich dich draußen antreffe, Jürgen!«, sagt der Kriminalist und streckt Dr.
Riemschneider die Hand hin. »Jede Wasserleiche, die meinen Geruchsnerven entgeht,
ist eine gute Wasserleiche.«
»Nach
’ner Zeit riechst du nichts mehr, ehrlich«, versucht der Pathologe Swensens
Ekel abzuschwächen, klemmt das Brot in den Mund, begrüßt den Kommissar und
nimmt es wieder in die Hand. »Aber ansonsten stimme ich dir zu. Selbst für alte
Hasen ist eine Wasserleiche kein toller Anblick. Und wie du siehst, entspreche
ich auch nicht dem Pathologen-Klischee, genussvoll neben der Leiche zu
frühstücken.«
»Und
was macht der Tote?«
»Pinocchio
schnippelt seit drei Stunden dran rum.«
»Pinocchio?«
»Helmut
Markgraf! Kennst du! War letztes Jahr schon mit hier. Dieser schlaksige Typ,
der sich so merkwürdig bewegt. Bei uns heißt er nur Pinocchio.«
»Dann
kann man ja sicher sein, dass die Ergebnisse stimmen. Oder läuft Markgraf schon
mit langer Nase rum? Habt ihr schon was für mich?«
»Wasserleichen
sind immer so ’ne heikle Sache.«
»Ich
denke, Pinocchio macht die Obduktion?«
»Spaß
beiseite! Eure Leiche hat verdammt lange Zeit im Wasser gelegen, aber noch
keine Monate, weil es keine Fettwachsbildung gibt.«
»Fettwachs?«
Ȇberall
wo Luft fehlt, wenn ein Toter vollständig unter Wasser liegt, verwandelt sich
das Körperfett im Laufe der Zeit in Fettwachs. Es konserviert sozusagen die
Leiche.«
»Also,
der Mann ist noch keine Monate tot? Wie lange dann? Vier Wochen, drei, zwei,
eine Woche?«
»Brust
und Bauch sind grünlich-schwarz. Typische Waschhaut. Es gibt Ablösungen der
Kopfhaare.«
»Und?
Was sagt uns das?«
»Ziemlich
wenig. Veränderungen an einer Wasserleiche sind stark von der Wassertemperatur
abhängig. Darüber hinaus ist der Fundort Moor eine besondere Situation. Die
chemischen Substanzen in den Tümpeln können den Verwesungsprozess erheblich
verlangsamen. Ich sag nur ›Moorleiche‹. Der Todeszeitpunkt ist eigentlich nicht
klar zu bestimmen. Zwischen zwei und sechs Wochen ist alles möglich.«
»Da
kann ich selber präzisere Aussagen machen!«, triumphiert Swensen. »Am 19.
September wurde die abgeschlagene Hand des Toten gefunden, am 13. Oktober die
Leiche. Das sind bereits vier Wochen, die er tot sein dürfte.«
»Woher
willst du wissen, dass eure Hand auch die fehlende Hand des Toten ist?«,
entgegnet Riemschneider mit süffisanter Stimme.
»Das
ist jetzt weit unter deinem Niveau, Jürgen!«, ereifert sich Swensen. »Wir
finden nicht alle naslang abgeschlagene Hände in Husum. Der DNA-Test wird das
schon beweisen.«
»Es
war ein Scherz, Jan!«
Swensen
kann kaum glauben, dass er sich selbst ausgetrickst hat. Einen kurzen Moment
unachtsam, schon beharrt man verbissen auf der eigenen Sicht der Dinge. Er
hätte doch gleich merken
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