Feuernacht
Wäsche mehr raus, Begga. Benutz einfach den Trockner.«
»Mache ich.« Es gab so vieles, was Berglind ihm gerne gesagt hätte, aber sie fand einfach nicht die richtigen Worte. »Komm nicht so spät nach Hause.« Er antwortete nicht sofort. »Bitte!«
»Ich versuche es.«
Nach dem Gespräch wurde der Geruch noch eindringlicher. Berglind wich vom Tisch zurück, holte eine Plastiktüte und stopfte die Wäsche hektisch hinein. Dann knotete sie die Tüte zu und stellte sie in die Ecke der kleinen Waschküche. Sie eilte hinaus und zog die Tür hinter sich zu, entschlossen, nicht weiter an den Gestank zu denken und sich dadurch nicht aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Es gab noch einiges zu tun, und Pésis Essenzeit rückte näher. »Pési! Hast du Hunger?« Keine Antwort. Das Haus wirkte still und menschenleer, sogar sie selbst schien weit weg zu sein. »Pési! Wo bist du?« Keine Antwort. Berglind hastete durch den Flur im Erdgeschoss, schaute in die Küche und ins Wohnzimmer, aber der Junge war nicht da. Die erste Etage schien ebenfalls leer zu sein, aber das hatte nicht viel zu bedeuten, denn Pési war noch so klein, dass er kaum Lärm machte. Wahrscheinlich puzzelte oder spielte er in seinem Zimmer. Trotzdem rannte Berglind, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Als sie sah, dass das Kinderzimmer und die anderen Räume im ersten Stock leer waren, wurde sie noch unruhiger.
Auf dem Weg nach unten schoss ihr durch den Kopf, dass Pési rausgegangen sein könnte, während sie telefoniert hatte – er langweilte sich drinnen und vermisste den Kindergarten. Berglinds Entschluss, ihn eine Zeitlang zu Hause zu behalten, war im Nachhinein betrachtet vielleicht doch unvernünftig gewesen. Jedes Mal, wenn er sie bat, wieder in den Kindergarten gehen zu dürfen, musste sie einsehen, dass Pésis Beurlaubung nicht in seinem, sondern eher in ihrem Sinne war. Wenn er zu Hause war, fühlte sie sich viel wohler, da sie nicht alleine sein musste, solange sie krankgeschrieben war. Körperlich war sie völlig gesund, sie hatte höchstens seelische Wunden, aber keine Krankschreibung würde diese Wunden heilen. Es ging wohl in erster Linie darum, ihre Kollegen vor ihr zu schützen. Aber dieser Gedanke war unfair, ihr Chef hatte nur aus Fürsorge darauf bestanden. Übertriebene Fürsorge. Wahrscheinlich würde es ihr bessergehen, wenn ihre engsten Freunde so verständnisvoll gewesen wären und sich so sehr für die Geschichte interessiert hätten wie ihr Chef. Die Enttäuschung nach dem Telefonat mit Halli saß tief. »Pési?« Stille. Er musste rausgegangen sein.
Die Haustür war zu, und bisher hatte Pési es nicht geschafft, sie selbst zu öffnen. Er wurde natürlich größer und entwickelte sich mit jedem Tag, es konnte also durchaus sein, dass es ihm zum ersten Mal gelungen war. Berglind öffnete die Tür und wurde von einem eiskalten Windstoß erwischt. Das schöne Wetter vom Wochenende war verschwunden. Ihr Mantel hing an einem Haken im Flur, neben Pésis Anorak. Wenn er wirklich rausgegangen war, war er viel zu dünn angezogen, außerdem war er noch zu klein, um alleine die Gegend zu erkunden. Anstatt ihren Mantel anzuziehen, hastete Berglind zurück ins Haus, um zu überprüfen, ob Pési im Garten war. Mit der Schiebetür kam er zurecht, auch wenn er seine ganze Kraft aufwenden musste, um sie zu öffnen. Pési war es gewohnt, im Garten zu spielen, wobei er das bei dem regnerischen Wetter der letzten Monate nicht oft getan hatte. Vielleicht hatte Berglind die Schiebetür offen stehen lassen. Sie konnte sich überhaupt nicht erinnern, ob sie die Tür nach dem Abhängen der Wäsche hinter sich zugemacht hatte. Aber es war so kalt draußen, dass die Tür unmöglich die ganze Zeit offengestanden haben konnte. Als sich Berglind der Türöffnung näherte, sah sie, wie sich die durchsichtigen Vorhänge im Wind aufbauschten.
»Pési?« Berglind zog den Vorhang zur Seite und war erleichtert, ihren Sohn draußen im Garten zu sehen. Sie quetschte sich durch den Spalt in der Tür. Ihr Sohn drehte ihr den Rücken zu und schien sie nicht zu hören. Zum Glück trug er ein langärmeliges Shirt, aber er war trotzdem viel zu dünn angezogen. Sein blondes Haar flatterte im Wind und erinnerte Berglind daran, dass es an der Zeit war, mit ihm zum Frisör zu gehen. »Pési? Du darfst nicht einfach rausgehen, ohne mir Bescheid zu sagen!« Er stand immer noch reglos da, genau unter der Leine, wo am Morgen die Wäsche gehangen hatte,
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