Feuernacht
damit, die Polizei zu informieren. Menschen mit Locked-in-Syndrom leben meistens nicht lange, das gilt auch für Ragna. Wenn die Patienten krank werden, können sie schnell sterben, und Ermittlungen und Gerichtsverfahren brauchen ja einige Zeit. Wer das getan hat, darf nicht ungestraft davonkommen! Ragna hat es verdient mitzuerleben, dass der Täter verurteilt wird.« Nach diesen Worten eilte sie, vom Wind getrieben, über den Platz.
Ihre Sätze noch in den Ohren, fuhr Dóra zurück zum Skólavörðustígur. Sie war froh, mit dem Auto gefahren zu sein. Als sie endlich einen Parkplatz gefunden hatte, rannte sie fast zur Kanzlei, um die Neuigkeiten sofort der Polizei zu melden. Noch bevor sie ihren dünnen Mantel ausgezogen hatte, nahm sie den Hörer ab. Sie stellte sich kurz vor und fragte nach dem Beamten, der die Ermittlungen bei der Brandstiftung geleitet hatte. Während sie wartete, zog sie ihren Mantel aus, und dann stellte sich eine tiefe Stimme als Úlfar vor. Dóra nannte ihren Namen und wollte gerade ihr Anliegen vorbringen, als ihr der Mann ins Wort fiel.
»Dóra Guðmundsdóttir? Die Anwältin?«
Dóra war völlig perplex von seiner Reaktion. »Ja, allerdings.«
»Hat dich schon jemand kontaktiert?«
»Äh … nein.«
Der Mann schwieg und schien nachzudenken. »Dein Name steht auf einer Liste wegen eines Falls, der gestern aufgenommen wurde.«
»Ich bin im Augenblick sehr beschäftigt und kann keine Verteidigung übernehmen. Du kannst mich von der Liste streichen.« Dóra hatte sich vor einiger Zeit als Pflichtverteidigerin registrieren lassen – ein Teil von Bragis Aktionsplan im Zuge der Wirtschaftskrise, der aber bisher noch keine Früchte getragen hatte.
»Ich kann dich nicht einfach streichen. Es geht um eine schwere Straftat, mit der du offenbar in Verbindung gebracht wirst, nicht um deinen juristischen Beistand.«
Dóra war zu erstaunt, um richtig zu begreifen, dass sie in Schwierigkeiten war. »Ich verstehe nicht ganz. Ich rufe doch gerade an, um eine schwere Straftat zu melden. Vielleicht sprechen wir ja von derselben Sache?« War ihr die Logopädin zuvorgekommen und hatte die Vergewaltigung gemeldet?
»Falls es bei der Tat, die du melden willst, um den Tod eines Menschen geht, wäre das denkbar. Wenn nicht, sprechen wir von zwei unterschiedlichen Dingen.«
»Tod eines Menschen?« Dóra spürte einen Stich im Herz – war Jakob an den Folgen seiner Verletzungen gestorben? Er hatte zwar nicht in Lebensgefahr geschwebt, aber was wusste sie schon von Medizin? »Wer ist denn gestorben, wenn ich fragen darf?«
»Kennst du einen jungen Radiomoderator namens Margeir?«
26 . KAPITEL
MONTAG ,
18 . JANUAR 2010
»Ich bilde mir das nicht ein, Halli! Ich dachte, du würdest mich verstehen.« Berglind klemmte sich den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter, damit sie die Wäsche zusammenfalten konnte. »Die Wäsche riecht ekelhaft, ich habe sie dreimal gewaschen und jedes Mal mehr Waschmittel reingetan, aber der Geruch geht nicht weg.«
»Ach, Begga, ich hab jetzt wirklich keine Zeit dafür.« Hallis Stimme klang erschöpft. »Ich glaube dir ja, aber dafür gibt es garantiert irgendeine vernünftige Erklärung. Vielleicht hat die Nachbarskatze draufgepinkelt.«
»Hörst du mir nicht zu? Sie riecht nicht nach Katzenurin. Ich weiß nicht, was für ein Geruch das ist, irgendwas Altes, Verrottetes.«
»Dann hat die Katze vielleicht ein totes Tier auf die Wäsche geschleppt, was weiß denn ich?«
»Die Wäsche hängt nicht bis auf den Boden, Halli. Abgesehen davon, dass Katzen nicht mit verrotteter Beute durch die Gegend rennen, geschweige denn sie irgendwo draufschleppen.« Berglind bereute ihre Worte sofort. Sie hörte selbst, wie ungerecht sie ihren Mann behandelte.
»Begga, ich muss jetzt wieder arbeiten. Ich weiß es auch nicht und kann dir nichts Beruhigendes dazu sagen. Steck das verdammte Zeug einfach in eine Tüte, und wenn ich nach Hause komme, schaue ich es mir an. Wenn es wirklich so schlimm ist, wie du sagst, dann riecht es später immer noch.« Er schien ein Seufzen zu unterdrücken.
»Verstehe.« Berglind legte das weiße T-Shirt weg, das strahlend rein war, aber so roch, als hätte es in einem feuchten Grab gelegen. »Bis später dann, und entschuldige, dass ich dich gestört habe.« Sie wollte nicht bitter oder ironisch klingen, tat es aber trotzdem.
»Okay.« Er verstummte und hoffte vermutlich, dass sie noch etwas nachschieben würde. Dann sagte er: »Häng keine
Weitere Kostenlose Bücher