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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Pfarrer stand immer noch neben dem Sofa.
    »Ich mache das nicht, um nett zu Jakob zu sein. Gutmütigkeit ist wirklich nicht mein Antrieb.« Er lächelte wieder und versuchte dann, sich sowohl die Augen als auch die Ohren zuzuhalten. »Ich mache das nur, um zu verletzen. Um zu zerstören.« Sein Lächeln verschwand. »Das kann man auch ohne Messer.«
    Der Pfarrer schwieg. Sein Gegenüber würde mit den Händen auf den Ohren ohnehin kein Wort verstehen. Er hatte bei seiner Arbeit im Sogn schon einiges erlebt und ließ sich von Jósteinns merkwürdigem Verhalten nicht irritieren. Aber Jósteinns Worte machten es ihm nicht leicht.
    »Manchmal ist Gutes schlecht und Schlechtes gut«, sagte Jósteinn, ließ die Hände sinken und schaute dem Pfarrer ganz kurz in die Augen, zum ersten Mal, seit er da war. »Aber Schlechtes kann auch schlecht sein, und so ist es bei mir. Du kannst mir glauben, dass ich nur Böses im Sinn habe.«
     
    Dóra fluchte leise, während sie auf den Mann wartete – nicht wegen des Orts, der natürlich passender hätte sein können, sondern weil die jüngsten Ereignisse ihr so zugesetzt hatten. Selbst die Geschäftigkeit in dem vollbesetzten Café in Skeifan reichte nicht aus, um ihre Gedanken zu zerstreuen. Erst als Ægir eine Viertelstunde zu spät eintraf, konnte sie sich auf etwas anderes konzentrieren. Er stand am Eingang und schaute sich suchend nach ihr um. Als sie aufstand und ihm zuwinkte, lächelte er freundlich und schlängelte sich zwischen den besetzten Tischen bis zu ihr durch. Nichts an seinem Auftreten ließ darauf schließen, dass es sich um einen Sadisten handelte, der bei der Therapie von Behinderten brutale Methoden anwandte. Im Gegenteil – er wirkte eher sanft und bat alle, an denen er sich vorbeiquetschte, um Entschuldigung. Sein Aussehen konnte Zartbesaiteten schon eher Angst einjagen: Er hatte tiefschwarzes Haar und ein schneeweißes Gesicht. Seine Augen, die ebenfalls tiefschwarz waren, starrten unter langen Haaren hervor, und in seiner Augenbraue blitzte ein goldener Ring auf.
    »Hallo.« Er streckte die Hand aus. »Du musst Dóra sein.« Sie bejahte, und er setzte sich an den winzigen Tisch, auf den gerade mal die zwei Kaffeetassen passten, die Dóra bestellt hatte, als sie noch davon ausgegangen war, dass der Mann pünktlich erscheinen würde. Jetzt war ihre Tasse leer, und die andere dampfte nicht mehr. »Entschuldige die Verspätung, es war so viel Verkehr.«
    »Kein Problem.« Dóra zeigte auf die Tasse. »Ich weiß nicht, ob der noch trinkbar ist.«
    »Macht nichts, ich bin Teetrinker, aber trotzdem danke.« Ægir wollte nichts bestellen, und Dóra bedauerte es, seinen Kaffee nicht mitgetrunken zu haben. »Du möchtest also über Tryggvi reden, da bin ich echt neugierig. Es ist über eineinhalb Jahre her, seit er bei mir in Therapie war, und ich muss gestehen, dass ich lange nicht mehr an ihn gedacht habe. Nach dem schrecklichen Brand ist er mir erst nicht aus dem Kopf gegangen. Aber was willst du über ihn wissen? Hast du nicht gesagt, du wärst Anwältin?«
    Dóra erklärte wieder einmal ihre Verbindung zu dem Brand des Behindertenheims. Sie konnte ihr Sprüchlein schon in- und auswendig und hätte es im Schlaf aufsagen können. »Ich wollte mit dir über Tryggvis Fortschritte reden, ich nehme mal an, dass du am besten weißt, worin sie bestanden haben und wie groß sie waren. Ich habe nämlich unterschiedliche Geschichten darüber gehört.«
    »Okay, das sollte kein Problem sein.« Ægir lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Fortschritte hatten meiner Meinung nach gerade erst begonnen und hätten viel größer werden können, wenn ich nicht gebeten worden wäre aufzuhören. Ich glaube, ich war fachlich gesehen noch nie so enttäuscht wie damals.«
    »Kannst du beschreiben, worin diese Fortschritte bestanden?«
    »Puh, wo soll ich anfangen?« Ægir seufzte leise. »Ich weiß ja nicht, wie viel du über Autismus weißt, aber Tryggvi hat unter schweren Entwicklungsstörungen gelitten, die seinen Kontakt zu anderen Menschen behindert haben, so dass er sich fast überhaupt nicht mitteilen konnte. Sein Sozialverhalten war gleich null, im Grunde hat er nur als desinteressierter Zuschauer am Leben teilgenommen. Die wenigsten sind so stark autistisch, viele können sich verständlich machen, auch wenn sie immer Kontaktschwierigkeiten haben werden. Tryggvi konnte stundenlang einen Ventilator oder andere mechanische Bewegungsabläufe

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