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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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und schien sie gar nicht zu bemerken. Womöglich hatte er das tote Tier entdeckt, das Halli für die Erklärung für den Gestank hielt. Ein solcher Anblick würde dem Kind bestimmt Angst einjagen, Berglind glaubte nicht, dass Pési jemals ein totes Tier gesehen hatte. »Komm zu mir, Pési, du erkältest dich noch, wenn du so lange draußen bleibst.« Sie ging zu ihm und redete beruhigend auf ihn ein, damit er sich nicht erschreckte, wenn sie ihn an der Schulter berührte. Normalerweise war er nicht so abwesend, obwohl das abends, wenn er sehr müde war, schon mal vorkam.
    »Hier stinkt’s, Mama.« Er drehte sich nicht um.
    Berglind spürte einen Stich in der Brust. Pési war der Einzige, der wusste, dass sie sich das nicht einbildete. »Ich weiß, mein Schatz, lass uns reingehen.« Sie war fast bei ihm angelangt, als er sich rührte und seine Zehen ins Gras drückte. »Du hast ja gar keine Schuhe an, Pési, deine Zehen frieren noch ein. Ich mache dir einen heißen Kakao, dann werden sie wieder warm.«
    »Ich will keinen Kakao, ich will draußen bleiben.« Endlich drehte er sich um und schaute seine Mutter mit besorgten Augen an. Sein Haar flatterte immer noch im Wind, hing dann aber plötzlich glatt nach unten, so als wäre es ohne sichtbaren Grund vor dem Wind geschützt.
    »Komm, Pési.« Berglind versuchte nicht länger, fröhlich zu klingen. Ihre Stimme war ernst und ängstlich. »Wir gehen rein.« Ein vertrauter, metallischer Geschmack lag in der Luft. »Es ist zu kalt, um draußen zu sein.«
    Er antwortete nicht, starrte sie nur an, als würde er seine Mutter nicht mehr erkennen. Berglind war sich nicht sicher, ob er sie überhaupt sah. Wenn er etwas anderes anstarrte, dann musste es zwischen ihnen sein, aber da war nichts. »Wohin schaust du? Auf meinen Pulli?« In solchen Momenten war es besser zu reden, auch wenn einen niemand hörte.
    »Ich will jetzt rein.« Pési starrte immer noch wie hypnotisiert geradeaus und verzog keine Miene. Er war noch blasser als sonst, die einzigen Farbtupfer in seinem Gesicht waren zwei rote Flecken auf seinen Wangen. Seine blassen Hände ragten aus den dünnen Ärmeln seines Shirts wie die Hände einer übergroßen Porzellanpuppe.
    »Dann komm.« Berglind streckte ihre Hand aus, konnte ihn aber nicht aus seiner Entrückung reißen. »Wir gehen rein, Pési.« Sie trat zu ihm, beugte sich hinunter und griff nach seiner eiskalten, kleinen Hand. Da spürte sie, wie sich sein schulterlanges Haar elektrisierte und leicht aufrichtete. Das trockene Laub wurde vom Wind aufgewirbelt und über den Rasen gefegt.
    »Wer hat das Auto gefahren, Mama?«
    Berglind drückte seine kleine Hand. Am liebsten hätte sie ihn ins Haus gezerrt, weg von dem erdrückenden Gestank unter der Wäscheleine, und mit ihm in der Küche gestanden, umgeben vom Duft heißen Kakaos. Dort würden sie ganz normal über etwas ganz anderes reden als das schreckliche Ereignis, das ihr Leben zerstört hatte. Berglind hätte alles getan, um diese Last loszuwerden. Halli und sie hatten erst gemerkt, was für ein schönes Leben sie geführt hatten, als es schon zu spät war. Sie waren chronisch pleite, die Arbeit war zu weit weg, Pési war zu oft krank, das Wetter war schlecht … Im Vergleich zu dem, womit sie jetzt konfrontiert waren, waren diese Klagen lächerlich gewesen. Vor einem Jahr wäre sie noch auf der Arbeit gewesen und hätte nicht halb angezogen wie eine Idiotin draußen im Garten gestanden und versucht, ihren Sohn reinzuholen. Wieder einmal dachte sie darüber nach, warum es so lange gedauert hatte, bis die Situation unerträglich geworden war. Der Geist hatte sich zwar direkt nach dem Unfall bemerkbar gemacht, aber erst zum Zeitpunkt des Bankencrashs war die Sache aus dem Ruder gelaufen, und sie hatten Rat bei der Kirche gesucht. Fast ein Jahr nach dem Unfall. Berglind hatte das Gefühl, dass irgendetwas den Spuk verstärkt hatte, aber was? Halli und sie hatten ihr Verhalten nicht geändert, und Pési hatte sich gemäß seiner Entwicklung ihrem Alltag angepasst. Berglind konnte sich am ehesten vorstellen, dass die Veränderungen mit der Familie der Babysitterin zusammenhingen, aber vorsichtiges Nachfragen bei der Nachbarin, die die Leute kannte, führte zu nichts. Die Familie trauerte immer noch und versuchte, so gut sie konnte, sich mit dem Schicksal abzufinden.
    Pési schien plötzlich zu sich zu kommen und die Kälte zu spüren, denn als er sprach, klapperten seine Zähne. »Da war jemand im Garten,

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