Feuernacht
gezwungen, den Hörer durchzustellen. »Guten Abend, hier ist Margeir, was hast du auf dem Herzen?«
»Ich habe deine Sendung gehört, und ich muss sagen, dass mein Freund Gunnbjörn, der eben bei dir angerufen hat, jeden Tag dümmer wird. Hat der wirklich solche Angst vor der EU ? Ist der Mann ein solcher Feigling?«
Aus alter Gewohnheit verteidigte Margeir immer denjenigen, der kritisiert wurde. Das Gelaber ging weiter, und jedes Mal, wenn Margeir versuchte einzugreifen, redete der Typ lauter, bis er nur noch schrie, was den beabsichtigten Zweck erzielte, denn Margeir hörte auf zu widersprechen. Am Ende hatte er trotzdem die Schnauze voll, wurde so laut, wie er es nie für möglich gehalten hatte, und übertönte den Querulanten. »Also dann, wir sind bei der Werbung angelangt und müssen leider an dieser Stelle abbrechen, vielen Dank.« Margeir legte auf, obwohl das nicht gerne gesehen wurde, und schaltete hastig die Werbung ein. Er wusste, dass er viel zu oft zu diesem Ausweg griff.
Als der letzte Werbespot des Einspielers abgelaufen war, blieben nur noch fünf Minuten Sendezeit. Anstatt wieder einen Song aufzulegen, was Margeir am liebsten getan hätte, begann er, über einen Artikel in der Zeitung zu reden, in dem es um Radwege ging. Er hatte zwar keine Ahnung von diesem Bereich der Verkehrspolitik, konnte aber unglaublich geschickt über Dinge reden, ohne wirklich eine Meinung zu vertreten. Das beeinträchtigte sogar schon sein Privatleben. Mädchen, die ihm gefielen, waren nicht sehr begeistert, wenn er unbeabsichtigt diesen Gang einlegte. Sogar seine Eltern verzogen mittlerweile das Gesicht, wenn er sich auf diese Weise bei Familienfeiern in Gespräche einmischte.
Das Lämpchen hatte wieder angefangen zu blinken. Diesmal war der Anruf ein Geschenk des Himmels, die Sendung war gleich zu Ende, und es spielte keine Rolle, welcher Querkopf in der Leitung war. »Guten Abend, hier ist Margeir, was hast du auf dem Herzen?« Er zuckte zusammen, als lautes Quietschen sein Trommelfell durchdrang. »Würdest du bitte dein Radio leiser drehen?« Das war jedenfalls kein Stammhörer, die hatten längst gelernt, ihr Radio auszuschalten, wenn sie durchgekommen waren. Das Quietschen hörte auf, und Margeir wiederholte seinen Gruß, der schon so abgedroschen war, dass er ihn automatisch abspulte. »Guten Abend, hier ist Margeir, was hast du auf dem Herzen?«
»Guten Abend, Margeir.« Die Stimme war seltsam, und die Betonung von Margeirs Namen wirkte ironisch.
»Mit wem spreche ich?« Margeir hätte sich nicht so sehr über die Stammhörer aufregen sollen – er hatte schon ganz vergessen, wie anstrengend Erstanrufer sein konnten.
»Mit mir.«
Margeir schaute auf die Uhr. Noch vier Minuten. »Also, mein Freund.« Der Typ war bestimmt besoffen, manchmal riefen abends Betrunkene an, die Gesellschaft suchten. Ein weiterer Grund für einen früheren Sendeplatz. »Unsere Sendung ist gleich zu Ende, du musst dich also beeilen, wenn du noch etwas sagen willst.«
»Ich will mit dir reden. Nur mit dir.« Die Stimme lallte nicht. Im Gegenteil: Jedes Wort war klar und merkwürdig bedeutungsschwanger.
»Das tut mir leid, du bist live auf Sendung. Willst du unseren Hörern nicht was sagen?« Es musste gleich so weit sein. Die Zeit kroch im Zeitlupentempo vorwärts.
»Du möchtest, dass ich allen erzähle, was ich dir zu sagen habe?« Die Stimme verstummte. »Da wäre ich mir nicht so sicher.«
Margeir ließ sich von Anrufern normalerweise nicht so leicht aus der Fassung bringen. Zugegebenermaßen langweilte er sich oft sehr schnell, aber er bewahrte immer die Ruhe. Doch dieser Anrufer war anders, seine Stimme war vollkommen kontrolliert und bedrohlich und schien jeden Moment in ein gehässiges Lachen auszubrechen. »Hör zu, ich glaube, die Zeit ist jetzt um. Mein Kollege Karl übernimmt gleich, und wenn du Glück hast, kommst du bei ihm noch mal durch.« Margeir zögerte, was dem merkwürdig beherrschten Mann die Gelegenheit gab, etwas einzuwerfen. Natürlich hätte sich Margeir besser gleich verabschiedet und aufgelegt.
»Sei vorsichtig.« Es war nicht leicht, die Stimme einzuordnen, und Margeir war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob es sich nicht auch um eine Frau oder ein Kind handeln könnte. »Die Abrechnung steht kurz bevor, und sie wird nicht schön sein. Dachtest du etwa, es wäre vorbei?«
»Was?« Wieder verhielt sich Margeir unprofessionell, er hätte den Mann verabschieden und nicht noch weiter anstacheln
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