Feuernacht
sollen.
»Das weißt du selbst am besten.« Leises Lachen ertönte, erstarb aber sofort wieder. »Was macht man eigentlich heutzutage, wenn man zu viel getrunken hat?« Der Mann atmete schwer und sagte dann: »Mir ist so heiß. Ich verbrenne fast.«
Margeir hatte genug. »Danke, mein Freund.« Er legte auf. »Und damit sind wir für heute am Ende, macht’s gut, liebe Hörer, ich hoffe, wir hören uns morgen Abend zur selben Zeit wieder, bis dann.« Er riss sich die Kopfhörer von den Ohren, schaltete die Erkennungsmelodie der Sendung ein, stand auf und spürte, dass er weiche Knie hatte. In Gedanken ging er das kurze Gespräch noch einmal durch, konnte aber nicht festmachen, was ihn so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Am ehesten die Stimme. Sie war so unverhältnismäßig ruhig gewesen, ganz anders als bei den anderen Anrufern. Das musste es sein. Margeir war müde und gereizt und zurzeit einfach nicht sehr belastbar. Er ging zum anderen Ende des Tisches, wo normalerweise der Techniker saß, und hob das kleine Gerät hoch, das die Telefonnummern der Hörer abspeicherte. Er kontrollierte die letzte Nummer. Auf dem kleinen Display stand nur
P.No. – Private Number
. Margeir knabberte an der Innenseite seiner Wangen herum und starrte auf die Buchstaben.
»Hey, sorry, dass ich so spät bin, der verdammte Wagen hat mich schon wieder geärgert.« Der Moderator, der übernehmen sollte, hatte das Studio betreten, ohne dass Margeir ihn bemerkt hatte. Bei der lauten Begrüßung des Mannes zuckte er zusammen und musste erst tief Luft holen, bevor er antworten konnte.
»Ich wollte schon eine Wiederholung abspielen.« Margeir legte die Nummernanzeige weg. »Mein Jingle läuft gerade, du hast noch einen Moment Zeit.«
»Was für ein Schwachkopf hat dich denn da kurz vor Schluss noch angerufen? Ich hab es im Auto gehört. Mann, ich hoffe, der nimmt dich nicht beim Wort und ruft noch mal an.«
Ohne genau zu wissen, warum, war Margeir davon überzeugt, dass das nicht passieren würde. Sein Gefühl sagte ihm, dass der Anrufer nur mit ihm persönlich sprechen wollte. Auf dem Weg über den dunklen Parkplatz zum Wagen hatte er ein mulmiges Gefühl. In seinem Kopf machte sich der beunruhigende Gedanke breit, dass er ganz genau wusste, was der Mann gemeint hatte. Als er im Wagen saß, knallte er die Tür schwungvoll zu und schloss von innen ab.
»Schläft sie?«
Svava legte den Stift weg und nahm die Lesebrille ab, froh, ihre Augen einen Moment von der kleinen Schrift ausruhen zu können. Sie hatte die Brille aufs Geratewohl an einer Tankstelle gekauft, und die Stärke passte nicht richtig. Sie würde nicht umhinkommen, einen Termin beim Augenarzt zu machen.
»Wer?« Die junge Frau war eine Aushilfe, die auf verschiedenen Stationen Schichten übernahm. Kein Wunder, dass sie nicht wusste, wer gemeint war.
»Zimmer sieben, wurde eben eingeliefert.«
»Oh, bei der habe ich noch nicht reingeschaut. Ich habe beim Patienten in Zimmer drei den Tropf gewechselt.«
»Kein Problem.« Svava stand auf. »Ich seh’ mal nach ihr.« Sie schob sich die Brille auf den Kopf – selbst wenn sie damit nicht perfekt sehen konnte, war sie besser als nichts. Svava lächelte der Aushilfe zu. Im Grunde machte es keinen Unterschied, ob sie bei dem Mädchen reingeschaut hatte, denn Svava hatte immer ein Auge auf neue Patienten und achtete auf alle Vorzeichen, die auf eine Verschlechterung ihres Zustands hinwiesen.
Sie ging vom Schwesternzimmer durch den Flur zu Zimmer Nummer sieben. Dabei kam sie an mehreren offenstehenden Patientenzimmern vorbei und lauschte den leisen Atemzügen und dem Piepen der elektrischen Geräte. Die Geräusche ließen nichts Ungewöhnliches erkennen. Bei Zimmer Nummer sieben war es genauso: Sie hörte nichts, was sie dazu veranlasst hätte, ihren Schritt zu beschleunigen. Wahrscheinlich schlief die junge Frau. Vorsichtig betrat Svava das Zimmer, in dem nur ein riesiges Bett mit einem Gestell aus Chrom stand. Die meisten Patienten blieben nur kurz auf der Station, und ihr Aufenthalt endete entweder mit ihrer Entlassung oder mit der letzten Ruhe in einem Sarg, der immerhin mit Satinfutter ausgekleidet war. Aber bei dieser jungen Frau war es anders, sie hatte viele Jahre ihres kurzen Lebens in Krankenhausbetten verbracht, und das würde bis an ihr Lebensende so bleiben. Sie konnte sich nicht bewegen und war den Großteil des Tages ans Bett gefesselt. Die einzige Abwechslung bestand darin, sie mit großem Aufwand in
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