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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Phantasie unterscheiden, wenn er unter Druck stand.
    Sie legte das Urteil beiseite und nahm das nächste Papier zur Hand. Auf diese Weise arbeitete sie sich durch den gesamten Stapel, ohne Jakobs Schuld oder Unschuld wesentlich näher zu kommen. Dóra legte das letzte Blatt weg und nahm den Zettel, auf dem sie Fragen und Stichworte notiert hatte. Unzufrieden mit der schlechten Ausbeute, überflog sie ihre Notizen. Wer würde so etwas tun? Wenn Jakob unschuldig war, musste ein anderer schuldig sein. Es musste die Tat eines Wahnsinnigen sein – warum sollte sonst jemand fünf Menschen umbringen, die niemandem etwas getan hatten. Es war zwar möglich, dass das Feuer auf den Nachtwächter abzielen sollte, aber es gab nun wirklich einfachere Möglichkeiten, jemanden zu töten.
    Dóra starrte auf die Namen der vier jungen Heimbewohner, die gestorben waren. Daneben hatte sie jeweils die Art der Behinderung notiert. Vielleicht war es denkbar, dass einer von ihnen den Brand gelegt hatte und versehentlich von den Flammen eingeschlossen worden war – oder sich selbst verbrennen wollte. Alle waren in oder neben ihren Betten gefunden worden. Die beiden jungen Frauen auf der Liste kamen nicht in Frage; die eine, Lísa Finnbjörnsdóttir, lag im Wachkoma und konnte weder laufen noch sprechen; die andere, Sigríður Herdís Logadóttir, war blind, gehörlos und geistig zurückgeblieben. Auch einer der beiden Männer, Natan Úlfheiðarson, schien als Täter nicht in Frage zu kommen. Er war Epileptiker und bekam nachts Medikamente, die ihn ruhigstellten. Der andere, Tryggvi Einvarðsson, hätte die Tat zwar körperlich durchführen können, war aber geistig kaum dazu in der Lage. Er war stark autistisch und verließ sein Zimmer nie auf eigene Faust.
    Dóra legte den Zettel beiseite. Die Möglichkeit, dass diese Leute für den Brand verantwortlich sein könnten, war höchst unwahrscheinlich. Wenn sie ihre Untersuchung darauf aufbauen wollte, dass es einen anderen Täter gab, musste sie woanders suchen. Und wenn sie nichts Aufschlussreicheres fand, konnte sie den Fall nicht annehmen. Die Ermittlungen schienen völlig korrekt gelaufen zu sein, was bei einem so schweren Verbrechen auch nicht anders zu erwarten war, allerdings war das Gerichtsverfahren ziemlich schnell abgewickelt worden. Dóra zog den unwichtigen Stapel zu sich, den sie eigentlich lieber weggelassen hätte. Die Fotos, die am Tatort gemacht worden waren, bereiteten ihr eine Gänsehaut. Obwohl die Qualität schlecht und die Fotos unscharf und schwarzweiß waren, konnte sie den sengenden Brandgeruch fast riechen. Die Anmerkungen der Polizei halfen Dóra, die Motive besser zu erkennen, denn die Hitze und das Feuer hatten die gesamte Umgebung grau eingefärbt. Sie war froh, dass die Bilder erst nach dem Abtransport der Leichen gemacht worden waren. Als sie alle Fotos durchgesehen hatte, war ihr schlecht, und ihre Kehle war trocken.
    Als Nächstes suchte sie die Obduktionsberichte heraus. Aus dem Bericht über Natan Úlfheiðarson, den Epileptiker, ging hervor, dass er seine Medikamente genommen hatte und im Schlaf an Rauchvergiftung gestorben war. Die Position seines Körpers im Bett ließ erkennen, dass er nicht versucht hatte, aufzustehen oder sich gegen das Feuer zu wehren. Dóra hoffte, dass für die anderen Opfer dasselbe galt. Die blinde Frau, Sigríður Herdís Logadóttir, war neben ihrem Bett gefunden worden und hatte vermutlich versucht, Schutz darunter zu suchen. Sie war nicht an Rauchvergiftung gestorben, sondern verbrannt. Dóra hätte sich fast gewünscht, das nicht gelesen zu haben, so schrecklich war es, sich einen blinden, gehörlosen Menschen bei einer solchen Katastrophe vorzustellen. Zu allem Überfluss war Sigríður Herdís mit neunzehn Jahren die Jüngste gewesen.
    Zögernd nahm Dóra den nächsten Bericht zur Hand. Es war der von Lísa Finnbjörnsdóttir, die vollständig gelähmt war. Hoffentlich war sie an Rauchvergiftung gestorben – was gab es Schlimmeres, als dazuliegen, ohne sich bewegen zu können, während die Flammen um einen herumtobten? Dóra hatte den Obduktionsbericht erst zur Hälfte gelesen, als ihr Blick auf etwas Merkwürdiges fiel. Sie blätterte zurück zur ersten Seite, um sich zu vergewissern, dass es sich auch wirklich um die richtige Person handelte. Dann legte sie die Blätter weg, schloss die Augen und rieb sich die Augenlider. Auf einmal sah die Sache ganz anders aus. Keine Frage, dass Jakob eine nähere Untersuchung des

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