Feuerprinz
…«
»Nein!«, entfuhr es Lin zornig. »Nein!«, rief sie noch einmal bestimmt, und das Wesen hinter ihr begann zu knurren. Etwas streifte sie im Nacken, ein Fingernagel … eine Kralle, die ihre Haut ritzte, dann gab der Boden unter ihr nach, und sie fiel durch einen riesigen Feuerkranz in ein gähnendes schwarzes Loch …
Jevana stützte sie, so gut es ging. Lin fühlte sich schwindlig und hatte furchtbaren Durst. Eines der Mädchen brachte ihr einen Becher mit Wasser, den sie gierig austrank. Lin bedankte sich und schickte die Priesterinnen fort. Nur Jevana blieb bei ihr. Zuerst schwiegen sie eine Weile, und Jevana ließ ihr Zeit, sich zu sammeln.Gemeinsam ließen sie sich neben dem Opferfeuer nieder, gutmütig beäugt von Salas steinerner Statue. Lin warf Blüten in die Flammen, um der Göttin für die gewährte Vision zu danken. Ihre Hände zitterten, während die Blätter im Feuer ihren Duft verströmten. Es war eine Lüge! Die Visionen lagen wie eine schwere Last auf ihr. Lin atmete tief durch. »Ich kann nicht mehr schweigen … wenigstens dir muss ich es sagen.«
Die zweite Priesterin blickte vom Feuer auf und sah sie fragend an. Ohne auf Jevanas Entgegnung zu warten, offenbarte Lin ihr beide Visionen, die erste in der Feuerwüste und die zweite, der sie soeben entkommen war. Jevana hörte ihr zu und unterbrach sie nicht, doch ihr Gesichtsausdruck wechselte zwischen Entsetzen und Besorgnis.
»Es ist nicht Sala, die zu mir spricht«, sprach Lin schließlich ihre schrecklichste Befürchtung aus. »Es ist etwas Bedrohliches und Böses, das mich verfolgt und nach mir sucht; es ist allein meinetwegen nach Engil gekommen.«
Jevana klopfte die Blütenreste von ihren Händen und stand langsam auf. Sie wirkte verstört und unsicher. Eine Weile sagte keine von ihnen etwas, dann flüsterte die zweite Priesterin: »Glaubst du, dass es der dunkle Gott ist, der dir die Visionen schickt … der nach dir sucht?«
Lin erhob sich ebenfalls und starrte in die Flammen. Das Feuer schien ihr auf einmal bedrohlich. Sie hätte es gerne gelöscht, doch das durfte sie nicht. Salas Feuer musste immer brennen – ebenso, wie Salas Licht für immer auf Engil scheinen musste. »Ich weiß es nicht … aber alles deutet darauf hin, dass der dunkle Gott zurückkehrt.«
»Aber was will er von dir?« Jevanas Stimme klang verzweifelt. Sie sah sich im Tempel um, als wäre er kein friedlicher Ort mehr.
Lin spürte, dass sich eine Wand aus Angst zwischen ihre Freundschaft zu schieben begann, und bereute, sich Jevana anvertraut zu haben. »Ich weiß nicht, was er von mir will.«
Jevana packte sie am Arm und wollte sie hinter sich her aus dem Tempel zerren. In ihren Augen stand die nackte Angst. »Du musst es Tojar und Ilana sagen. Die Menschen von Engil müssen gewarnt werden, dass Muruk zurückkehrt.«
Lin schüttelte entschlossen den Kopf. »Das kann ich nicht! Doch nicht jetzt, wo ohnehin alle Angst haben.« Sie nahm Jevanas Hand und sah sie flehend an. »Lass uns warten, bis Elven und die anderen zurückkehren.«
Jevana schüttelte heftig den Kopf »Sie sind längst zurückgekehrt … während du deine Vision hattest.«
Lin spürte das Blut laut in ihren Ohren rauschen. Sie ahnte, dass sie nicht hören wollte, was Jevana ihr sagen würde.
Die zweite Priesterin sprach mit zitternder Stimme. »Das Mädchen ist tot, von einem Schjack zerrissen … sie haben den Schjack gesehen. Er hätte beinahe auch Braam zerfleischt. Elven kam ihm im letzten Augenblick zu Hilfe.«
Einen kurzen Augenblick maßen sie ihre Blicke miteinander, dann nickte Lin resigniert. Die Zeichen waren eindeutig – der Blutgott kehrte zurück, wenn die Schjacks das Sumpfland verließen.
O Sala, dieses Mal sind sie sogar bis nach Engil gekommen!
»Ich werde mit Tojar und Ilana sprechen … aber lass mir wenigstens Zeit bis zum Abend. Ich habe mich heute nicht der zweiten Priesterin anvertraut, sondern meiner Freundin.«
Jevana sah sie vorwurfsvoll an, da Lin ihre Freundschaft ausnutzte, um sich Zeit zu verschaffen. Lin wusste, sie brachte die zweite Priesterin in einen schweren Konflikt mit ihrem Amt. Doch schließlich gab Jevana nach.»Also gut … bis heute Abend!«
Lin nickte und fragte sich, ob es wirklich ein guter Gedanke gewesen war, sich Jevana anzuvertrauen. Doch sie brauchte Zeit, um zu überlegen, was sie tun sollte. Was würden die Engilianer denken, wenn sie erfuhren, dass der dunkle Gott die Tochter des Königspaars heimsuchte? Es wäre so
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