Feuerregen (Billy Bob Holland) (German Edition)
wirkte.
»Wenn es regnet, seh ich Cholo in der Erde liegen. Sein Sarg besteht bloß aus Sperrholz und Leinwand. Ich sehe ihn immer wieder vor mir«, sagte sie.
»Geht’s dir nicht gut, Essie?«
»Nein. Und ich glaube auch nicht, dass es mir jemals wieder gut gehen wird. Du hast Cholo nicht leiden können. Viele konnten das nicht. Aber er war auf eine Art und Weise tapfer, die andere nicht verstehen.«
Lucas wollte etwas sagen, stockte dann und leckte sich unwillkürlich über die Lippen, als ihm zum ersten Mal klar wurde, dass keines der Worte, die er aussprechen wollte, in irgendeinem Bezug zu ihr und ihrem Leben stand. Im Schein der blanken Birne über ihnen, so kam es ihm vor, wurden all ihre Makel und kleinen Schönheitsfehler offenbar, und seine desgleichen. Er fand nicht den richtigen Ausdruck dafür, aber einen Moment lang wurde ihm bewusst, dass Innigkeit und gegenseitige Zuneigung mit Worten nichts zu tun hatten. Das Linoleum fühlte sich kalt unter seinen bloßen Füßen an, obwohl der Wind warme grüne Sommerdüfte durch den Fliegendraht blies. Er legte den Arm um sie und spürte, wie sie sich an ihn drückte, als wollte sie in einen Kokon eindringen. Er streifte mit dem Gesicht über ihre Haare, küsste sie am Augenwinkel und fuhr mit der Hand an ihrem Rücken hinab. Sie schmiegte Brüste und Unterleib an ihn, und er schluckte und schloss die Augen.
»Vielleicht hast du derzeit nicht ganz den richtigen Durchblick. Vielleicht ist das nicht der Zeitpunkt für irgendeine Entscheidung«, sagte er.
Sie ließ ihn einen Moment lang los, wischte den Schalter an der Wand nach unten, worauf es dunkel in der Küche wurde. Dann "Stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mund, schmiegte sich eng an ihn, mit nassen Augen, ohne dass er begriff, weshalb.
Da werd einer draus schlau, dachte er.
23
Lucas erzählte mir all das am nächsten Morgen, am Sonntag also, während er die Veranda fegte und Säcke voller Grassamen von der Ladefläche seines Pickup in den Schatten neben dem Haus schleppte. Ich saß mit einem Glas Eistee in der Hand auf dem Geländer und sah zu, wie er die Erde auf dem Hof harkte, bevor er die Saat ausstreute.
»Sie hat gesagt, Cholo wäre tapfer gewesen?«, sagte ich.
»Er war ihr Bruder. Was erwartest du denn?«
»Der war gewissenlos bis zum Gehtnichtmehr. Er hat einen Brand gelegt, bei dem vier Feuerwehrleute ums Leben gekommen sind. Die Feuerwehrmänner waren tapfer, nicht derjenige, der sie umgebracht hat.«
Lucas harkte mit dem Rechen tief ins Erdreich, die Arme angespannt, die Muskeln steinhart. Er schniefte laut auf.
»Weshalb bist du überhaupt hergekommen? Um mich zu piesacken?«, sagte er.
»Chug und die andern sind jetzt hinter dir her.«
»Mann gegen Mann haben die nix drauf.«
»Das haben sie auch nicht nötig«, sagte ich.
Er warf den Rechen hin, schlitzte mit einem Bananenmesser einen Sack mit Samen auf und streute das Saatgut auf dem Hof aus.
»Du lehnst Esmeralda doch bloß wegen ihrer Abstammung ab. Das hat dich doch von Anfang an gestört«, sagte er.
»Ob man kriminell ist oder nicht, ist eine Sache der persönlichen Einstellung. Mit Rasse oder Abstammung hat das überhaupt nichts zu tun. Sie hat den Großteil ihres Lebens mit Kriminellen zugebracht und verteidigt sie instinktiv. Fall nicht drauf rein.«
»Ich habe gesagt, du sollst es sein lassen, Billy Bob.«
»L.Q. Navarro war Mexikaner. Er war der beste Freund, den ich jemals hatte, mein Guter.«
Er verstreute die letzte Hand voll Saatgut quer über den Hof, schüttelte den Sack aus, bückte sich dann, um den nächsten aufzuschlitzen. Sagte dabei irgendetwas, das ich nicht ganz verstand, sprach Worte aus, die von der Hauswand widerhallten und sich im Schatten verloren, Worte, die ich aus seinem Munde niemals vernehmen wollte.
»Was hast du gesagt?«, fragte ich.
Er zog das Messer aus dem aufgeschlitzten Sack und richtete sich mit glühenden Wangen auf.
»Ich hab’s nicht so gemeint«, antwortete er.
»Du brauchst damit nicht hinter dem Berg zu halten. Sprich es laut aus.«
»Ich hab gesagt: ›Yeah, den hast du auch umgebracht.‹«
Ich kippte meinen Eistee ins Blumenbeet, sah, wie die frostig weißen Kugeln über das schwarze Erdreich kullerten, das er umgestochen und mit dem Spaten zuoberst gekehrt hatte. Ich stellte das Glas aufs Geländer und ging zu meinem Avalon, die Augen auf den weiten grünen Horizont gerichtet.
Ich ließ den Motor an und legte den Rückwärtsgang ein,
Weitere Kostenlose Bücher