Feuersee
Bemerkenswert die Ähnlichkeit mit unseren
Runen,
bemerkenswert aber auch, daß es die primitive Art ist, in der
sie konstruiert
sind, die die radikale Umänderung der Magie bewirkt und im
Grunde genommen eine
ganz neue Sprache grobschlächtiger, aber starker Magie
erschafft.«
Kleitus zog einige der Runenspielsteine hervor
und plazierte sie neben den Skizzen des Chronisten auf das Blatt. Die
Übereinstimmungen waren nahezu vollkommen. »Es ist
so verflucht offensichtlich.
Warum ist es mir bisher nie aufgefallen?«
Kopfschüttelnd, zornig auf sich selbst, fuhr er
fort zu lesen.
In diesen Tagen scheint sich die Welle in einem
Stadium der Ausgewogenheit zu befinden. Doch es gibt unter uns welche,
die
fürchten, daß die Patryn stärker werden und
ein neuer Wellenberg im Entstehen
begriffen ist. Einige raten, daß wir kämpfen und den
Patryn Einhalt gebieten
sollen. Andere, zu denen auch ich gehöre, warnen,
daß wir nichts tun dürfen, um
das Gleichgewicht zu stören, oder wir bewirken ein Wellental
…
Kleitus schlug das Buch zu. Der Text enthielt
keine weiteren Informationen über die Patryn, sondern verlor
sich in
Spekulationen über die möglichen Folgen eines
erneuten Ungleichgewichts. Der Herrscher kannte
die Antwort bereits. Es war die Große Teilung gekommen und
anschließend das
Leben in dieser Gruft von einer Welt. So viel wußte er von
der Geschichte der
Sartan.
Doch er hatte die Patryn vergessen, die Feinde
von alters her, Bringer der Dunkelheit, Wirker einer
grobschlächtigen, aber
starken Magie.
»Absolute und unbestrittene Vorherrschaft
…«
sagte er halblaut vor sich hin. »Was für Narren wir
gewesen sind. Was für
absolute und unbestrittene Narren. Doch es ist noch nicht zu
spät. Sie halten
sich für schlau. Sie glauben, sie können uns
überrumpeln. Aber sie sollen sich
täuschen!«
Nachdem er eine Zeitlang schweigend überlegt
hatte, winkte er einem der Wiedergänger: »Ich will
den Kanzler sprechen.«
Der tote Soldat ging und kehrte beinahe sofort
wieder, begleitet von Pons, dessen großer Vorzug es war, wenn
er gebraucht
wurde, leicht auffindbar zu sein.
»Euer Majestät«,
grüßte er mit einer tiefen
Verbeugung.
»Ist Tomas zurück?«
»Vor wenigen Minuten, glaube ich.«
»Bringt ihn her.«
»Hierher, Euer Majestät?«
Kleitus zögerte, schaute sich im Zimmer um,
nickte. »Ja, hierher.«
Da es sich um etwas Wichtiges handelte, übernahm
es Pons höchstpersönlich, den Auftrag
auszuführen. Man hätte einen der
Wiedergänger schicken können, den jungen Mann zu
holen, aber es bestand immer
die Möglichkeit, daß der Tote mit einem Korb
Rezblumen zurückkehrte, weil er
seine ursprünglichen Anweisungen auf halbem Weg vergessen
hatte.
Pons machte sich auf den Weg zu einem der
Empfangsräume, wo man Kuriere und Bittsteller in
großer Zahl anzutreffen
pflegte. Der Eintritt des Herrschers würde unter sie gefahren
sein wie der
Blitzschlag von einem Koloß und hätte sie
aufgescheucht zu einer wahren Orgie
von Kratzfüßen, Katzbuckeln und Bücklingen.
Das Auftauchen des Kanzlers zeigte
weniger spektakuläre Auswirkungen. Ein paar zweite und dritte
Söhne vornehmer
Familien sowie etliche Angehörige des niederen Adels
verneigten sich
bescheiden, der obere Echelon unterbrach sein Runensteinspiel und die
Konversation, und man schaute dem Eindringling entgegen. Wer mit Pons
gut
bekannt oder gar befreundet war, begrüßte ihn
herzlich, sehr zum Neid und Mißvergnügen
jener, die sich nicht solcher Verbindung rühmen konnten.
»Was gibt’s, Pons?« fragte
jemand träge.
Der Kanzler lächelte. »Seine
Majestät bedarf
eines …« Sofort erhob sich eine große
Anzahl von dienstbeflissenen Höflingen.
»… bedarf eines lebenden
Kuriers«, beendete Pons
den Satz. Scheinbar gleichgültig und gelangweilt
ließ er den Blick durch das
Zimmer wandern.
»Ein Botenjunge, wie?« Ein Baron
gähnte.
Der obere Echelon, der kein Interesse an
Handlangerdiensten hatte, wandte sich entschlossen wieder dem Spiel und
dem
Hofklatsch zu.
»Ihr dort.« Pons deutete auf einen jungen
Mann
am anderen Ende des Zimmers. »Wie ist Euer Name?«
»Tomas, Mylord.«
»Tomas. Ihr seht ganz brauchbar aus. Kommt
mit.«
Tomas verneigte sich schweigend und folgte dem
Kanzler aus dem Vorzimmer in den privaten und geheimen Teil des
Palastes. Sie
sprachen beide kein Wort, nur beim Verlassen des Zimmers hatten sie
einen
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