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Feuersee

Titel: Feuersee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Weis , Tracy Hickman
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gespenstischer Anblick. Ich erschrecke vor mir selbst.
    Der alte König sieht mich, geht aber schweigend
vorbei, Edmund hebt die Hand zu einer beschwichtigenden
Gebärde und schüttelt
kaum merklich den Kopf. Mit einer Verbeugung trete ich ins Halbdunkel
zurück.
    »Baltasar kann warten«, höre ich
den König
murmeln. »Er wird schließlich seinen Willen
bekommen. Bis dahin soll er warten.
Der Nekromant hat Zeit. Ich nicht.«
    Sie durchwandern die Räume des Palastes, ihre
Schritte hallen laut in den leeren Gängen. Doch der alte Mann
horcht auf die
Laute, die aus der Vergangenheit an sein Ohr dringen: frohe Stimmen,
Musik, das
schrille Jauchzen eines Kindes, das mit Vater und Mutter in den
prächtigen
Sälen Fangen spielt.
    Auch ich erinnere mich an jene Zeit. Ich war
zwanzig Jahre alt, als Prinz Edmund geboren wurde. Der Palast wimmelte
von
Tanten und Onkeln, nahen und entfernten Verwandten, Höflingen
(immer freundlich
und liebenswürdig und zum Scherzen aufgelegt),
geschäftigen Ratsmitgliedern und
Bürgersleuten, die Petitionen einreichten oder um einen
Schiedsspruch nachsuchten.
Als Schüler des königlichen Nekromanten wohnte ich im
Palast. Schon damals den
Büchern zugeneigt, verbrachte ich erheblich mehr Zeit in der
Bibliothek als auf
dem Tanzboden, aber unbewußt muß ich doch vieles
von dem munteren Treiben
aufgenommen haben. Manchmal, während der
Schlafhälfte, glaube ich noch heute,
die Musik zu hören. »Ordnung«, sagt der
alte König derweil, »es hatte alles
seine Ordnung, damals. Ordnung war unser höchstes Gut, Frieden
und Ordnung. Ich
begreife nicht, was geschehen ist. Warum hat sich alles
verändert? Wie konnte
es dazu kommen? Chaos, Dunkelheit …«
    »Es liegt an uns, Vater«, erwidert Edmund
fest.
»Es muß an uns liegen.«
    Natürlich weiß er, daß es nicht
so ist. Immerhin
ist – war – er mein Schüler. Doch er wird
alles tun, um einen Disput mit seinem
Vater zu vermeiden. Nach all diesen Jahren ringt er immer noch
verzweifelt um
Liebe.
    Ich folge ihnen; meine schwarzen, weichen Schuhe
verursachen kein Geräusch auf dem kalten
Steinfußboden. Edmund weiß, daß ich in
der Nähe bin. Hin und wieder blickt er über die
Schulter, wie um sich bei mir
Kraft zu holen. Ich betrachte ihn mit liebevollem Stolz, wie ich ihn
für einen
leiblichen Sohn empfinden könnte. Edmund und ich sind uns
nahe, näher als die
meisten Väter und Söhne; näher, als er
seinem Vater ist, auch wenn er es nie
zugeben würde. Seine Eltern waren so sehr miteinander
beschäftigt, daß sie kaum
Zeit hatten für das Kind, das ihrer Liebe entsprang. Ich war
der Lehrer des
Jungen und wurde schließlich des einsamen Jünglings
Freund, Gefährte und
Mentor.
    Jetzt ist er Mitte Zwanzig, stark und schön und
voller Leben. Er wird ein guter König sein, sage ich mir und
wiederhole die
Worte mehrmals, als wären sie ein Talisman und
könnten den Schatten vertreiben,
der auf meinem Herzen liegt.
    Am Ende des Ganges befindet sich eine riesige
Flügeltür, beschrieben mit Symbolen, deren Bedeutung
längst vergessen ist und
nicht nur das: Zeit und Wandel haben sie zum Teil ausgelöscht
oder unleserlich
gemacht. Der alte Mann hält die Lampe, während sein
Sohn unter großer
Anstrengung den schweren Metallriegel zurückschiebt, der die
Tür des Palastes
sicher verschlossen hält.
    Der Riegel ist eine Neuerung. Der König mustert
ihn mit gerunzelter Stirn. Wahrscheinlich erinnert er sich der Zeit vor
Edmunds
Geburt, als dergleichen überflüssig war. Magie hielt
damals die Tore
geschlossen. Über die Jahre hinweg brauchte man die Magie
allerdings für
Wichtigeres – wie zum Beispiel das Überleben.
    Sein Sohn stemmt sich gegen die Türflügel,
und
sie schwingen auseinander. Ein scharfer Luftzug löscht die
Gaslampe aus. Die
schneidende Kälte dringt mühelos durch Pelze und
dicke Tuche. Sie gemahnt den
König daran, daß es im Palast zwar kalt sein mag,
die Mauern mit der ihnen
innewohnenden Magie aber doch einen gewissen Schutz vor dem
atemberaubenden,
lähmenden Frost draußen bieten.
    »Vater, glaubst du wirklich, dem gewachsen zu
sein?« fragte Edmund besorgt. »Ja«,
schnappt der alte Mann, doch nur – ich bin
sicher – weil er glaubt, das Gesicht wahren zu
müssen. »Mach dir keine Sorgen.
Wenn es nach Baltasar geht, müssen wir bald alle dort
hinaus.«
    Ja, er weiß, daß ich in der Nähe
bin und jedes
Wort hören kann.

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