Feuersee
neue
Aufgabe
für sie, und wir alle wissen, wie sie sich gebärden,
wenn man ihnen etwas Neues
zu tun gibt.«
Kopfnicken in der Runde. Der König runzelt die
Brauen und streicht über seinen Bart. Der Sprecher
fährt fort, offenbar fühlt
er sich genötigt, eine Erklärung zu geben, sich
gegebenenfalls zu
rechtfertigen.
»Die Knechte vergessen gleich wieder, was man
ihnen aufgetragen hat. Nach kurzer Zeit lassen sie die Eimer achtlos
fallen und
gehen einfach weg. Wenn wir sie suchen, finden wir sie bei ihrer
gewohnten
Arbeit. Nach meiner Rechnung ist auf diese Weise mehr Wasser vergeudet
worden,
als das Gemüse bekommen hat.«
»Was schlagt Ihr vor?«
»Was ich vorschlage?« Der Obmann schaut
die
Umsitzenden an, ob ihm nicht jemand Beistand leisten will. Er seufzt.
»Ich
schlage vor, mit der Ernte zu beginnen, solange noch etwas da ist, das
sich zu
ernten lohnt. Es ist besser, das Wenige zu retten, statt abzuwarten,
bis alles
verdorrt. Ich habe hier eine Parfrucht mitgebracht. Wie Ihr seht, ist
sie
unverhältnismäßig klein und längst
nicht reif. Sie müßte noch wenigstens
sechzehn Zyklen hängenbleiben. Aber wenn wir sie nicht jetzt
pflücken, verdorrt
sie am Stock. Nach der Ernte können wir eine zweite Saat
ausbringen, und bis
dahin hat der Fluß vielleicht wieder seinen normalen Stand
…«
»Nein«, ruft eine Stimme, eine neue Stimme
in
diesem Saal und dieser Versammlung. »Man hat mich lange genug
im Vorzimmer
warten lassen. Es ist offensichtlich, daß der König
nicht vorhat, mich rufen zu
lassen. Ich muß die Dinge selbst in die Hand nehmen. Der
Wasserstand wird nicht
steigen, wenigstens nicht in absehbarer Zeit und auch später
nur, falls
drastische Veränderungen eintreten, die jetzt nicht
vorauszusehen sind. Der
Hemo ist zu einem schlammigen Rinnsal geschrumpft, und wenn wir nicht
großes
Glück haben, Majestät, wird er gänzlich
austrocknen.«
Der König hat sich herumgedreht und blickt mich
verärgert an. Er weiß, daß er mir an
Intelligenz unterlegen ist, und deshalb
traut er mir nicht. Doch die Vernunft hat ihn gelehrt, auf mich zu
hören. Die
wenigen Male, die er meinen Rat in den Wind schlug und seinen eigenen
Kopf
durchsetzte, hat er es bitter bereuen müssen. Aus diesem Grund
bin ich jetzt
des Königs Nekromant.
»Ich wollte den rechten Moment abwarten, um Euch
hereinzubitten, Baltasar. Aber«, spricht er mit ironischem
Unterton weiter,
»wie es scheint, könnt Ihr es nicht erwarten,
schlechte Nachrichten zu
überbringen. Nehmt also Platz und erstattet dem Rat
Bericht.« Seiner Miene nach
zu urteilen, würde er zu gerne mich persönlich
für diese schlechten Nachrichten
verantwortlich machen.
Ich setze mich an die ihm gegenüberliegende
Seite des rechteckigen Versammlungstisches aus Stein. Die Augen der
Ratsmitglieder wenden sich zögernd, widerwillig in meine
Richtung. Ich bin
zugegebenermaßen eine ungewöhnliche Erscheinung.
Diejenigen, die in den weitverzweigten Grotten
und Höhlen von Abarrach leben, sind von Natur aus
hellhäutig, aber meine Haut
ist totenbleich, beinahe durchsichtig, mit einem bläulichen
Schimmer von den
Blutgefäßen dicht unter der papierdünnen
Oberfläche.
Die unnatürliche Blässe rührt
daher, daß ich
viele Stunden des Tages und der Nacht in der Bibliothek zubringe und
die alten
Schriften studiere. Mein rabenschwarzes Haar – eine
Rarität in Kairn Telest,
denn der überwiegende Teil der Bevölkerung hat
weißes Haar mit braunen Spitzen
– und die schwarze Robe meines Amtes schaffen einen Kontrast,
der meine Haut
noch bleicher wirken läßt.
Die meisten der Anwesenden haben mich kaum je zu
Gesicht bekommen, denn ich halte mich fast ständig im Palast
auf und zeige mich
nur selten in der Stadt oder bei Hofe. Mein Erscheinen in dieser
Ratsversammlung ist eine unheilvolle Ausnahme. Man fürchtet
mich. Mein Kommen
wirft einen Schatten auf die Herzen der Anwesenden, als hätte
ich meinen schwarzen
Umhang über sie gebreitet.
Ich beginne damit, daß ich mich erhebe, die
flachen Hände auf den Tisch stütze und mich vorbeuge.
In dieser Haltung scheine
ich bedrohlich jene zu überragen, die mit banger Faszination
zu mir aufblicken.
»Vor einiger Zeit unterbreitete ich Seiner
Majestät den Vorschlag, daß ich es auf mich nehmen
wollte, dem Lauf des Hemo
bis zu seiner Quelle zu folgen, um vielleicht herauszufinden, was die
Ursache
dafür sein könnte, daß
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