Feuersteins Drittes
vertrieb schnell solche düsteren Visionen.
Es folgte »That’s dance«, die Galarevue unserer Showtruppe, die wir aber leider vorzeitig verlassen mussten, da mir die zunehmende Unruhe des Meeres die Freude an den langbeinigen, diesmal nicht als Elche verkleideten Showgirls verdarb. Und so wankte ich wieder mal durch die Gänge unseres Schiffes, gestützt auf meine sich geduldig in Alterspflege übende Frau, und wäre fast über Dr. Gradinger gestolpert, der wie immer samt Gattin auf dem Boden robbte. Doch suchten sie diesmal keine Mikroben, sondern ihre Kofferschlüssel.
Genau 5417 Seemeilen werden wir bis zur Ankunft in Dover insgesamt zurückgelegt haben, fast 10000 Kilometer oder ein viertel Mal um die Welt in sechzehn Tagen. Mit dem Flugzeug ginge das in zehn Stunden. Und nach der Quantentheorie könnte man schon dort sein, bevor man überhaupt abgereist ist. So viel über die Relativität der Zeit. Wie aber sieht es aus mit der Relativität des Geldes?
Ich habe mir oft überlegt, wie die Reise wohl verlaufen wäre, wenn ich nicht als Lecturer kostenlos an Bord gewesen wäre, sondern wenn wir dafür bezahlt hätten, zwischen 10 000 und 40 000 Euro für uns beide. Wären wir in einen Freudentaumel geraten über so viel Luxus? Oder in einen Nörgelrausch wie Frau Immendorf? Oder wären wir gar dem Zwang erlegen, alles auszukosten und abzuhaken, was uns an Bord geboten wurde, weil man ja schließlich dafür bezahlt hat? Hätte ich trotz Seekrankheit sieben Mal am Tag gegessen? Und vielleicht sogar mit den Gentlemen Hosts getanzt, weil das doch auch im Preis inbegriffen war?
Was haben wir doch alles versäumt! Nie waren wir morgens mit Danielle an Deck, beim Po-Training, Power-walking oder Step-Aerobic, nie beim Sticken mit Melanie. Wir haben weder das Computerzentrum besucht, wo ein richtiger Lehrgang angeboten wurde, samt Teilnahmezeugnis am Schluss, noch den täglichen Kaffeeklatsch mit Schach und Kartenspiel. Wir waren kein einziges Mal im Schönheitssalon, obwohl dieser täglich von 7 bis 20 Uhr für uns offen stand, und versäumten deshalb sowohl die Parfümberatung mit Nathalie als auch ihren Frisurtipp »Farbe, Schnitt, Locken«. Nicht einmal den Innenpool unten im C-Deck und den Fitnessraum gleich daneben kennen wir aus eigenem Erleben. Und auch nicht die Miniklinik vom Onkel Schiffsdoktor.
Nie haben wir nach dem Frühstück zu den ausgelegten Kreuzworträtseln gegriffen und nie erschienen wir zur Weinprobe um Viertel vor elf. Kein einziges Mal haben wir »Dem Chefkoch auf die Finger geschaut: ein Küchenbesuch am Vormittag«, und auch beim Motivationstraining, drei Mal die Woche, waren wir nie dabei, obwohl es verlockende Themen gab wie »Ärger mit dem Ärger« oder »Neu programmiert für ein neues Jahrtausend«. Ja, sogar die ökumenische Sonntagsmesse samt Kapitänspredigt haben wir geschwänzt.
Wir haben niemals Bingo gespielt, und wenn auf dem offenen Meer, außerhalb der Hoheitsgewässer, das Spielkasino öffnete, haben wir keinen der 28 Einarmigen Banditen angefasst und uns auch niemals zum Black Jack, Roulette oder »Ozean Poker« an den Spieltisch gesetzt. Nicht einmal an der Bar hockten wir dort, trotz täglich wechselnder Spezialcocktails wie »Eisbär« (Bacardi, Midori, Orangensaft, Zitronenmix) oder »Nordsee Brise« (Doornkat, Orangen-/Preiselbeer-/Ananassaft).
Bei den Treffs der Freimaurer, Rotarier, Lions und Kiwanis war unser Fernbleiben zwar durch Nichtmitgliedschaft entschuldigt, aber bei der »Passagier-Talentshow« hätten wir eigentlich mitmachen müssen, wo ich doch Hitler so gut nachmachen kann. Aber dort fehlten wir ebenso wie bei den Viererteams von »Erkennen Sie die Melodie« und »Erkennen Sie diesen Bluff« mit Les und Lucian, denn das wäre ja auch nicht fair gegenüber den anderen gewesen, angesichts meiner gigantischen Ratefuchs-Erfahrung bei »Was bin ich?«.
Wir waren nie in der Bibliothek, da wir auf den Reisen ohnehin immer viel zu viel eigene Bücher mitschleppen und nie zum Lesen kommen. Und auch nicht in der Schiffsboutique, wo man auf hoher See zollfrei einkaufen konnte. Bei der Opal-Show mit Ringen, Uhren und Goldketten, der Luxusversion einer Kaffeefahrt, hatten wir ebenso gefehlt wie bei den vielen Kunstauktionen, auch wenn bei der letzten mit »Schlussrabatten bis 80 Prozent« gelockt wurde und sich einer der amerikanischen Passagiere rühmte, 14 Meisterwerke für lumpige 25000 Dollar erworben zu haben, ideal für sein neues Haus in Sun City,
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