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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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Millionen Einwohner, berichtet sie uns, die Ortschaft Geiranger aber nur 251. Weil sie selbst eine davon ist, vergisst sie, dass wir was über die Gegend lernen wollen, und erzählt uns lieber Privates: Dort war das Elternhaus, da hinüber ging sie zur Schule, drüben wohnt immer noch der Onkel, und ganz oben hatte Opa seine Schafe. Als sie schließlich durch ist mit den Verwandten, legt sie eine Kassette mit ihrer Lieblingsmusik auf. Ich befürchte das Schlimmste, aber es ist die Holberg-Suite von Grieg, die die Landschaft, durch die wir fahren, besser beschreibt, als es je ein Reiseleiter könnte.
    Wir fahren einen Berghang hoch, bis sich das Tal verengt und man nur noch zu Fuß vorankommt. Nicht mal eine Stunde marschieren wir weiter, dann stehen wir an der Mündung eines Gletschers, der im Sonne nli cht in hundert Farben funkelt. Wer Zeit hat, könnte jetzt Wanderungen machen, den Briksdal-Gletscher hinauf, Steigeisen und Führer stünden bereit. Aber Schiffe warten nicht.
    Mit dem Bus geht es über eine andere Straße weiter nach oben, über eine enge Passstraße mit tausend Kurven, weit über die Baumgrenze hinaus, auf ein Plateau, 1500 Meter über dem Meeresspiegel — diesmal keine abstrakte
    Höhenangabe, sondern wirklich über dem Meer: Senkrecht geht es nach unten, das stahlblaue Wasser spiegelt die umgebenden Berge, und mittendrin, weit weg und ganz winzig, unser Schiff.
    Ein Zyniker soll sich nicht als Dichter versuchen, seine Poesie klänge nur gequält und heuchlerisch. Die beschreibenden Adjektiva, die Glücksmomente, die Gefühle da oben habe ich deshalb in meinem Herzen eingeschlossen. Schauen Sie sich diese Landschaft, verdammt noch mal, selbst an. Sie wird Ihr Leben reicher machen.

    Gestern Abend war »Offiziersball in Schwarz und Weiß«. Ich überlegte schon, dafür meine weiße Smokingjacke einzusetzen, aber dann erschien mir das doch zu affig und ich blieb bei meinem schwarzen Bauchquäler. Meiner Frau empfahl ich, das schwarze Witwenkleid anzuziehen, das ich ihr mal aufgezwungen hatte und das sie eigentlich bei jeder Reise dabeihaben sollte, für den Ernstfall. Aber sie hatte es nicht mit und entschied sich für Weiß mit Glitzersprenkeln.
    Zum Abendessen hatte sich der Ballsaal in einen Schwarz-weiß-Film verwandelt, nur die Köpfe einiger Millionäre mit Bluthochdruck sorgten für ein paar rote Farbtupfer. »SIEHT SEHR EDEL AUS!«, schrie Frau Dorsch schon beim Hinsetzen, und der Saal nickte ihr zustimmend zu.
    Punkt 22 Uhr der Einzug der Schiffsoffiziere, die sich in ihren Galauniformen wie Admiräle fühlten, aber wie Türsteher wirkten. Für den Eröffnungstanz des Kapitäns kam natürlich nur eine Würdige in Frage: die Repeater- Queen, die Kabinenkönigin mit den insgesamt fünf Passagierjahren. Danach waren die Offiziere in der Pflicht, die Liste der Vielschifferinnen abzutanzen, aber nur, soweit es sich um Witwen und allein reisende Damen handelte. An Verheiratete durfte ausschließlich der Kapitän Hand anlegen, darunter auch meine schweizerische Kritikerin, die sich drall und eng an ihn drückte, ohne aber diesmal zu jodeln.
    Nach den Pflichttänzen folgte die Damenwahl. »DAMENWAHL«, schrie auch Frau Dorsch, und alle Herren duckten sich aus Angst, jetzt gleich von ihr aufgefordert zu werden. Aber sie griff sich nur ihren Mann. Und als mich meine Frau unter dem Tisch gefunden hatte, musste auch ich aufs Parkett.
    Und so tanzten wir in diesem schleichenden Passgang müder Gäule, der die erste halbe Stunde jeder gepflegten Seniorengala beherrscht, bevor man dann in der Mischung von Suff und Psychopharmaka durchdreht und zu hopsen beginnt, bis der Arzt kommt, im wahren Sinn des Wortes. Dabei lächelten wir, wie es sich für feine Leute gehört, und als meine schweizerische Todfeindin vorbeigeschoben wurde, strahlte ich sie boshaft an. Aber sie blickte durch mich hindurch und tat, als würde ich gar nicht existieren. Ach, wenn sie doch Recht hätte!

    LOGBUCH 18. JULI
    Bergen, 16°, meist heiter, Barometer 1009
    Sonnenaufgang 4:46, Sonnenuntergang 22:35

    300 Tage im Jahr soll es in Bergen regnen, aber Herr Neuenfeld, der Wolkenschieber, hat gute Arbeit geleistet: Nur ein paar Schäfchenwolken hat er zurückgelassen, die den blauen Himmel noch blauer und die bunte Häuserfassade am Hafen noch bunter färben.
    Bergen ist die zweitgrößte Stadt Norwegens und die schönste Skandinaviens, wenn man sich ihr vom Wasser nähert. »Niedlich« und »putzig« sind die Beschreibungswörter,

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