Feuersteins Drittes
Meter Baugerüst klettern, wenn es auch mit 150 Zentimetern geht? So hoch nämlich war das Podest des Verkehrspolizisten in der Mitte einer Kreuzung der alten Charoen-Krung-Straße im Chinesenviertel, auf dem ich dann doch meinen Panorama-Aufsager über Krung Thep los wurde, über die »Stadt der Engel«, wie die Thailänder Bangkok nennen, gefolgt von einem Dutzend weiterer Beinamen, die ich feierlich ablas, während mich Stefan mit artistisch balancierter Kamera auf dem Rücksitz eines Motorrads mehrfach umkreiste. Das fand ich ziemlich lustig... bis mich Wolpers selber auf das Motorrad befahl. Denn das Motorrad ist das billigste und schnellste Taxi der Stadt, aber auch das wildeste und gefährlichste, und das wollte er im Film unbedingt am lebenden Beispiel dokumentieren.
Ich bekam einen Sturzhelm aufgeschraubt — natürlich nicht zum Schutz, sondern aus Geiz, weil hinter jeder Ecke Verkehrspolizisten lauern und von Unbehelmten Strafgeld kassieren —, und dann brausten wir durch die Gegend. In Schlangenlinien zwischen den Autos durch, manchmal auch gegen den Verkehr, zur Abkürzung ein bisschen Bürgersteig... und rote Ampeln gelten für Motorradfahrer sowieso nicht. Das Ganze dazu noch so schnell, dass wir Stefan, der in ein Auto umgestiegen war, ständig verloren und deshalb die Höllenfahrt mehrmals wiederholen mussten. Ich hatte Motorräder schon immer gehasst; in meiner Rangordnung des Abscheus waren sie bisher gleich hinter Bühnenkollegen gekommen, die vor der Vorstellung Knoblauch essen. Seit Bangkok sind sie ein paar Stellen vorgerückt und stehen jetzt auf Platz zwei, gleich hinter dem deutschen Schlager.
Der anschließende Besuch einer klassischen Tanzschule für Kinder kam zwar zustande, erwies sich aber leider als unbrauchbar für unseren Film. Denn wenn es auch ganz niedlich und süß aussah, wie sich die fünfjährigen Mädchen wie graziöse Tempeltänzerinnen fühlten, aber wie aufgescheuchte Hühner durch die Gegend flatterten, waren sie gleichzeitig so ernst und feierlich bei der Sache, dass das Ganze wie eine Parodie wirkte. Und damit habe ich ein Problem, denn bei allem Zynismus ist es mir lieber, wenn über mich gelacht wird, nicht über die anderen, und erst recht, wenn es um fremde Kulturformen geht... wobei ich mich nicht besser machen will, als ich bin. Denn ich habe mir genug Entgleisungen erlaubt, die dieser Regel krass widersprechen; meine Haltung ist daher weniger Prinzip als Absichtserklärung. In dieser Tanzschule aber blieb ich ihr treu und wies den Versuch von Wolpers, selbst beim Khon, dem traditionellen Maskentanz, mitzumachen, entschieden zurück. Wäre ohnehin nichts geworden, denn das Affenkostüm, das er für mich anschleppte, war für einen Zehnjährigen und damit eine Nummer zu klein. Aber für Zwölfjährige hatten sie keins.
Also wechselten wir zum nächsten Drehort mit ähnlichem Thema, und da hat es dann endlich geklappt: in eine thailändische Grundschule, wo ich mit den anderen Kindern Lesen und Schreiben lernen sollte.
Thailändisch gehört zur sinotibetischen Sprachfamilie und ist wie das Chinesische von einsilbigen Sinnwörtern geprägt, deren Bedeutung von Tonhöhe und Satzstellung abhängt. Wer das mal beherrscht, behauptet gewöhnlich, dass Thai wegen seiner geringen Grammatik eigentlich recht einfach sei. Wer sich damit aber zum ersten Mal abmüht, wird unweigerlich zur Lachnummer. Denn nichts hört sich für Thailänder offenbar komischer an als der Versuch eines Farangs — der thailändischen Verformung von foreign, also eines Ausländers aus der »weißen«, europäisch-amerikanischen Welt —, ein paar heimische Sätze zu sagen.
Das Hauptproblem liegt in der Sprachmelodie. Sie brauchen zum Beispiel nur das Wort maa falsch zu betonen, und schon haben Sie nicht gefragt »Kommst du mit?«, sondern »Bist du ein Hund?«. Jedenfalls schrien die Schulkinder vor Vergnügen und Schadenfreude, als ich an der Tafel stand und Tonhöhen übte. »Baa-baa-baa-baa-baa« skandierte ich wie ein Schaf auf dem Höhepunkt seiner Brunft, denn dieses baa heißt ja alles Mögliche, von »Dschungel« bis zu »Großvater«, je nachdem, ob mit aufsteigender, absteigender, hoher, normaler oder tiefer Stimme gesprochen 14 . 36 Vokale gibt es für diese fünf Stimmhöhen, dazu noch 42 bis 44 Konsonanten... so genau weiß das inzwischen niemand mehr, denn auch hier fand kürzlich eine Rechtschreibreform statt, die genau wie unsere nach Vereinfachung strebte, aber Verwirrung
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