Feuersteins Drittes
Brücken zu Österreich waren für immer gesprengt.
Das klingt jetzt wie der Auftakt der klassischen Tellerwäscher-Karriere: der arme Einwanderer und sein amerikanischer Traum vom Lebensglück. Aber wie so oft in meinem Leben verlief es auch hier genau umgekehrt: Erst jetzt, in meiner dritten Ehe, bin ich Tellerwäscher geworden, ein zufriedener noch dazu — mehr will ich gar nicht mehr werden. Erlauben Sie mir trotzdem, Ihnen ein kleines Stück meiner amerikanischen Biographie vorzulegen. Das muss jetzt einfach sein, damit Sie mein Verhältnis zu dieser Stadt verstehen. Ich verspreche, mich kurz zu fassen — soweit ich das überhaupt kann.
Der Anfang, in der 112. Straße West, war schrecklich. Wir hatten eine winzige Einzimmerwohnung im dritten Stock eines Brownstone, einst das typische Familienreihenhaus der Gründerzeit, damals aber ziemlich verwahrlost und in winzige Wohneinheiten aufgeteilt, als Scheidungsabfindung und einzige Einkommensquelle einer trinkfreudigen Ex-Schauspielerin. Das Badezimmer teilten wir mit dem Mieter auf der anderen Seite des Flurs und das Wohnschlafzimmer mit tausend Kakerlaken, die sich aber zum Glück nur zeigten, wenn man überraschend das Licht anmachte: Dann wurde der gesamte Raum lebendig, Konturen und Tapetenmuster lösten sich auf, und das große Rennen setzte ein, die Flucht nach allen Seiten, in geheime Verstecke, die der Kammerjäger, der uns hin und wieder mit chemischen Keulen vergiftete, niemals fand. Als unser Badezimmer-Teilhaber nach ein paar Wochen verhaftet wurde, weil er über die Feuertreppe zum Innenhof hochgeklettert war, um bei einem Lesbenpaar zu spannen, hatten wir wenigstens das Klo für uns allein. Die Kochnische teilten wir aber weiter mit den Küchenschaben.
Auf meiner »Erika« hackte ich Kulturberichte, die aber in Österreich kaum jemand gebrauchen konnte, weil ich sie mit der Post verschickte — und das dauerte immer mindestens vier Tage, was der Aktualität nicht unbedingt dienlich war. Wir lebten von einem miserabel bezahlten Halbtagsjob, den Pearl bei einem Winkeladvokaten um die Ecke ergattert hatte, und als ihr an einem Montag im Supermarkt der Geldbeutel geklaut wurde, gab es am Dienstag und Mittwoch nur Reis und am nächsten Tag gar nichts... Freitag war zum Glück wieder Zahltag, denn Amerika ist gerecht, wenn es um Geld geht: Da zahlt man die Gehälter wöchentlich, und nicht, wie bei uns, im Februar zu viel und im März zu wenig.
Da ich mit meinem Journalistenvisum keine andere Tätigkeit ausüben durfte, blieb uns nur der letzte Ausweg: die berühmte, so oft beschriebene, höchst unromantische, nicht selten katastrophal endende Green Card- Ehe, die Heirat eines Ausländers mit einem Bürger der USA, wodurch Ersterer gesetzlichen Anspruch auf die heiß begehrte »Grüne Karte« erwirbt und damit auf das volle Einwanderungsrecht samt Arbeitserlaubnis als Vorstufe zum amerikanischen Pass.
An sich sollte das kein Problem für uns sein, denn wir liebten uns und hatten ohnehin vor, irgendwann mal zu heiraten. Aber Pearl war erst neunzehn und damit nach dem damaligen New Yorker Staatsgesetz minderjährig. Ihre Heirat bedurfte deshalb der Zustimmung der Eltern in Hawaii, was eine überaus umständliche bürokratische Prozedur bedeutete — ganz abgesehen davon, dass diese keine Ahnung von unserer Völker verbindenden Absicht hatten und wir deshalb auch nicht sicher sein konnten, ob sie Pearls Studienabbruch und unsere Blitzehe überhaupt billigten.
Zum Glück ist Amerika nicht nur gerecht, sondern auch fromm, »In God we trust« steht auf jedem Dollarschein, und wer je argentinische Staatsanleihen hatte, weiß es zu schätzen, wenn Gott persönlich für die Kohle haftet und nicht eine lächerliche Staatsbank. Und so gab es auch für uns einen Ausweg: Wer sich kirchlich trauen lässt, darf das schon ab sechzehn, besagte das Gesetz im Bundesstaat New York. Denn was im Haus des Herrn geschieht, darf kein Staat verhindern, auch nicht mal dann, wenn man — wie wir beide — gar keiner Religionsgemeinschaft angehört. Für diesen Fall, so wusste es Pearls Arbeitgeber, der Winkeladvokat, gibt es sogar eine eigene Kirche, da müssten wir nur quer durch den Central Park auf die Ostseite laufen, zu den Unitariern.
»Woran glaubt ihr?«, fragte uns Reverend Donald Kring.
»An nichts«, sagte Pearl, und als ich bemerkte, dass er besorgt die Augenbrauen hob, ergänzte ich schnell: »Obwohl wir uns Mühe geben.«
Da strahlte er mit der Freude des
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