Feuersteins Ersatzbuch
Schließlich kippte die Gondel zur Seite, schrammte den Boden entlang und blieb stehen. Ich hoffte, dass wir jetzt endgültig da waren — dies zu glauben, wagte ich noch nicht. Aber ich verstand jetzt den letzten Satz des Piloten.
Stephan, der sich natürlich nicht festgehalten hatte, sonder filmte, war bei dem Landemanöver mehrmals an mir vorbeigeflogen — wobei er immer noch filmte... ich weiß auch nicht, wie er das schafft. Im Film jedenfalls sieht es genau so dramatisch aus, wie es wirklich war, und das hat man selten.
»Jetzt könnt ihr aussteigen«, sagte der Pilot mit dem letzten Versuch, Autorität und Würde zu bewahren. Aber wir konnten nicht aussteigen, sondern mussten auskriechen. Dafür war es nicht weit zum Frühstücksbüffet: Wir brauchten nur aufzustehen und uns zu setzen. Unser Pilot hatte eine Ziellandung geschafft. Beinahe hinein in den Obstsalat.
Drei Tage später gab es noch ein zweites Luftattentat, doch entgegen seinen finsteren Absichten bereitete mir Wolpers damit eine riesige Freude.
Er hatte einen Hobbypiloten samt seinem knallroten Oldtimer-Doppeldecker aufgetan, einer richtigen fliegenden Kiste wie in den alten Tagen: Der Passagier hockt vorn, der Pilot hinten, beide natürlich im Freien, ohne Verdeck. Damit sollten wir einen Looping fliegen, von dem Wolpers erhoffte, er würde mich aus dem Flugzeug schleudern — typisches Laiendenken, denn in der wunderbaren Welt der Schwerkraft ist es genau umgekehrt: Man wird zunächst tiefer denn je in den Sitz gepresst und ist dann ein paar euphorische Sekunden lang schwerelos.
Immer schon hatte ich von so einem Flug geträumt, endlich wurde er Wirklichkeit. Standesgemäß traten wir an, mit Fliegerhelm und wehendem Schal, Snoopy und der Rote Baron. Und als es vorbei war, gab es noch einen weiteren Triumph für mich. Da setzte sich Stephan an meine Stelle, um eine »Subjektive« zu drehen, also den Looping aus meiner Sicht, und siehe da: Stephan, der Schwindelfreie und Tollkühne, der Unterwasserdämon und Abgrundverachter, der ohne Zögern zwischen zwei Alpengipfeln vor dem Hochseilartisten filmend einher tänzeln würde, dieser Stephan sagte beim Aussteigen: »Mir ist schlecht.«
Aus Chronistenpflicht erwähne ich noch einen weiteren Anschlag, der aber diesen Namen nicht verdient, weil ich ihn gar nicht ernst nahm: Wolpers wollte, dass ich mich zu Tode ärgere, indem er mich mit Kukui Arap Maget zusammenbrachte, einem gestandenen Kerl von 91 Jahren, der immer noch mit elf Frauen verheiratet war — früher mal waren es über zwanzig. Wahrscheinlich erwartete Wolpers, dass mich der gelbe Neid frisst und ich davon Hepatitis kriege... lächerlich. Ich war mit drei Frauen verheiratet (hintereinander), und das reicht für dieses Leben.
An einem viel bedrohlicheren Ereignis hingegen war ich selber schuld, da konnte Wolpers ausnahmsweise nichts dafür: die Changa’a-Probe im Luo-Dorf.
Changa’a ist der Gattungsname für Selbstgebrautes, der kenianische Obsder sozusagen. Er sieht in jeder Gegend anders aus, hat aber einen doppelten gemeinsamen Nenner: Er enthält tierisch viel Alkohol und man stellt ihn zu Hause her, möglichst versteckt, denn die Sache ist illegal. Basis ist eine Getreidemaische — in unserem Fall das ohnehin schon ziemlich unangenehm schmeckende, bräunliche Sorgum. Dazu kommen noch ein paar andere Zutaten, die man aber gar nicht mehr kennen will, sobald man erfährt, wie die Fermentierung erfolgt: Nämlich durch Speichel. Man spuckt hinein und lässt die Sache reifen.
Zu unserem Empfang stand ein großer Kessel mit Changa’a bereit. Es ist eine Ehre, sich im Kreis der Ältesten in die erste Reihe setzen zu dürfen. Überlange Strohhalme laden dazu ein, reihum das kostbare Nass zu schlürfen.
Nun ist es an sich mein Prinzip, auf keinen Fall fremde Sitten zu verspotten oder Menschen zur Belustigung von uns Wohlstandsbürgern vorzuführen, schon gar nicht in der Dritten Welt, wo selbst ein harmloser Scherz leicht als arrogante Überheblichkeit missverstanden werden kann. Mit dem gleichen Respekt esse und trinke ich, was immer mir angeboten wird — im ersten Buch habe ich ausführlich darüber geschrieben. Aber gilt das auch für ein Höllengebräu wie Changa’a?
Der eben geschilderte Respekt verlangt es, darüber nichts Abfälliges zu berichten, schließlich erfreuen sich Millionen Menschen an seiner stimulierenden Wirkung. Doch gibt es einen Interessenkonflikt. Denn gleichzeitig gebietet es die Pflicht des
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