Feuersteins Ersatzbuch
erstreckt, bis zum Fuß des Ol Doinyo Legat, dem heiligen Berg der Massai. Das Natriumkarbonat-haltige Wasser ist lebensfeindlich für Mensch und Tier, außer für eine bestimmte Algenart, die die Hauptnahrungsquelle für Flamingos bildet. Zehntausende dieser Vögel leben hier, neben dem Großwildjäger unser zweites Ziel in dieser Gegend. Außerdem hatte ich Lackmuspapier und ein Minifläschchen Whisky mitgebracht, für eines meiner wissenschaftlichen Experimente, auf die ich zum Leidwesen von Wolpers immer wieder bestehe. Ein Doppelexperiment: Ich wollte nachprüfen, ob das Wasser des Sees wirklich alkalisch ist, und anschließend kosten, wie das Ganze als Whisky-Soda schmeckt.
Der eine Teil des Experiments klappte vorzüglich: Der rote Lackmusstreifen wurde in Sekundenschnelle blauer als mein alter Chemielehrer, der für seine Experimente mit Äthylalkohol und selbst gemixten Aromaten stadtbekannt war; auf den anderen mussten wir leider verzichten, da einer der Fahrer die Whiskyflasche leer getrunken hatte... durchaus verständlich bei dem enormen Flüssigkeitsbedarf in einer Gegend, in der es bis zu 60 Grad heiß wird.
Im seichten Wasser des Seeufers standen die Flamingos und verfolgten mein Tun in stummer Bewunderung. Hunderte waren es, wenn nicht tausende, ihre Zahl verdeckte den Wasserspiegel. Da erwartet man vom Fernsehen natürlich, dass sie zum glorreichen Finale allesamt auffliegen, möglichst in einem einzigen Schwarm. Endlich zahlte sich aus, dass wir einen Großwildjäger engagiert hatten: Er feuerte seine Flinte ab — und alle die tausend Flamingos flatterten gleichzeitig hoch. Sie kreisten einmal über unseren Köpfen und zogen dann im weiten Bogen zu den Bergen am Horizont, ein Traumbild, wie es die Werbung nicht schöner bieten könnte. Natürlich hätte Wolpers beinahe alles verdorben, als er vorschlug, noch eins draufzusetzen und nach dem Schuss einen toten Flamingo auf mich runterfallen zu lassen, aber darauf antworteten wir gar nicht erst.
So nett mein Laborversuch am Sodasee sein mochte, im fertigen Film füllte er knapp neunzig Sekunden und war damit doch ein bisschen wenig für den Aufwand eines ganzen Drehtags — die Begegnung mit dem Großwildjäger selbst hatte sich ja als Nullnummer entpuppt.
Aber dann kam es noch viel dicker.
Zwar liegt der Lake Natron an der Grenze der beiden viel besuchten Nationalparks Masai Mara (Kenia) und Serengeti (Tansania), doch gibt es keine einzige Straße, die auch nur in seine Nähe führt, nur wilde Geröllpisten, die selbst per Allradantrieb kaum zu bewältigen sind. Der Großwildjäger, dessen Jagdrevier in dieser Gegend lag, hatte deshalb eine kühne Logistik ertüftelt: Von Arusha aus würde uns eine Cessna zu einer Lodge in der Nähe des Sees bringen, wo uns der Jäger mit seinem Geländefahrzeug erwartet und zu den Drehorten fährt. Da der See gerade einen besonders niedrigen Wasserstand hatte, wäre das Ufergelände trocken genug, dass das Flugzeug am späten Nachmittag dort landen könnte, um uns wieder aufzunehmen. Allerdings bot die Maschine nur Platz für drei Passagiere, so dass Erik einen Tag Urlaub bekam.
Der Hinflug war märchenhaft, die Autofahrt zum See ein Albtraum. Denn die letzten zehn Kilometer ging es steil abwärts, manchmal über Abhänge ohne festen Untergrund, über die der Geländewagen mehr rutschte als fuhr, manchmal über ein Bachbett mit so viel Steinen, wie sie mir sonst eigentlich nur der WDR in den Weg legt. »Es muss wohl kürzlich mal geregnet haben«, murmelte unser Jäger, eigentlich eine Seltenheit in dieser Gegend, aber er sei ja schon zwei Jahre nicht mehr hier gewesen. Und dann murmelte er einen weiteren Satz, dessen Bedeutungsschwere wir aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkannten: »Zurück kommen wir über diesen Weg auf keinen Fall.«
Schon während des Drehens hatten wir festgestellt, dass das Seeufer gar nicht so glatt und trocken war wie vorgesehen (»Es muss wohl kürzlich mal geregnet haben«, murmelte der Jäger zum zweiten Mal an diesem Tag). Präziser ausgedrückt: Wo der Boden glatt war, war er feucht und sumpfig, und wo er fest und trocken war, lagen Steine, so dass an eine beliebige Landung nicht zu denken war. Also beschlossen wir, einen Flugplatz zu bauen.
Über eine Länge von 400 Metern, die ich als Mindestlandestrecke errechnet hatte, räumten wir die Steine aus dem Weg, in einer Breite von zehn Metern. Erst sämtliche Steine, dann nur noch die großen, denn das Thermometer zeigte
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