Feuersteins Reisen
man das als Versuch ansehen, dem Sensenmann zu entfliehen, aber so dumm bin ich nicht, denn wir alle wissen: »Der Tod reist mit«, so steht das ja oft genug in >Bild<. Mein Plan war viel klüger: Eine Reise rund um die Welt überquert nämlich zwangsläufig die Datumsgrenze, und da hatte ich eine Idee.
Mitte Februar 1978 begab ich mich auf die Schicksalsreise, immer westwärts, von Frankfurt nach Rio, dann über Trinidad und Houston nach Los Angeles, und schließlich nach Hawaii. Am 21. Februar 1978 kurz vor Mitternacht, beim Anflug von Honolulu nach Guam, hatte ich gegenüber Frankfurt bereits zwölf Stunden zu den üblichen 24 hinzugewonnen. Und dann war es so weit: Mit großem Herzklopfen flogen wir über den 180. Längengrad, die Datumsgrenze. Man sieht und spürt sie nicht, niemand fragt nach den Papieren, ich glitt einfach über sie hinweg — und lebte immer noch. Denn auf der anderen Seite war bereits der 23. Februar angebrochen, auch wieder 36 Stunden lang, die ich nach und nach, bis zur Ankunft in Frankfurt vom Osten her, wieder auf 24 abbauen würde. Den 22. Februar hatte ich einfach übersprungen, und der Tod, der ja wissen muss, wann die Stunde geschlagen hat, und deshalb wie alles Zeitliche an den Kalender gebunden ist, hatte keine Chance.
Mein Todestag war unerlebt verstrichen. Wahrscheinlich bin ich jetzt unsterblich. Ein Untoter.
Klassenkampf
Zum Grundvokabular des Jetsets gehört es, bei Verabredungen niemals zu sagen: »Wir treffen uns Sonntag, 14 Uhr 30, in der Eisdiele«, sondern: »Wir treffen uns Sonntag, 14 Uhr 30, in Singapur.«
Da ich Singapur nicht mag, seit die Boogie Street abgeschafft und die Stadt sterilisiert wurde, trafen wir uns Sonntag, 14 Uhr 30, in Sydney. Mein Team war von Osten über Los Angeles eingeflogen, ich kam von Westen über Bangkok. Und weil ich annehme, dass Sie sich inzwischen entschieden haben, ob Sie mich mögen oder nicht, will ich Ihnen das Geheimnis verraten, warum wir auf den großen Strecken getrennt fliegen. Wenn Sie mich mögen, werden Sie mich verstehen. Und wenn Sie mich nicht mögen, können Sie mich sowieso am Arsch lecken.
Die englische Königsfamilie fliegt grundsätzlich getrennt. Denn falls mal was passieren sollte, wäre deshalb die Dynastie noch nicht zu Ende, und mindestens eine(r) bliebe zur Fortpflanzung übrig. Oder für Skandale. Das ist ein guter und plausibler Grund, aber er gilt nur für Könige — nicht für uns. Im Gegenteil: Für das Team und mich wäre ein gemeinsamer Tod eindeutig die vernünftigere Lösung, denn ohne mich wären die drei wie Ameiseneier ohne Ameisenstaat, und ich wiederum würde ohne das Team niemals solche Filme machen. Sondern bessere.
Der wirkliche Grund für unsere getrennten Langstreckenreisen ist der demütigende, erbärmliche, widerwärtige und verachtenswerte Klassenunterschied, den unsere Gesellschaft immer noch macht.
Als Gott die erste Klasse im Flugzeug schuf, wollte er auf keinen Fall, dass Wolpers drinsitzt. So könnte man theologisch argumentieren, aber auch Naturgesetze könnte ich zitieren, die seinen Ausschluss von dieser höheren Form des Lebens rechtfertigen. Aber das ist gar nicht nötig, denn es geht um eine ganz einfache und praktische Sache: Ich kann nur schlafen, wenn ich flach ausgestreckt liege. Auf keinen Fall im Sitzen, auch wenn die Rückenlehne die gesamten fünf Millimeter, die unsere großzügigen Fluglinien in der Touristenklasse heute noch zulassen, zurückgestellt ist. Und auch nicht in der Businessklasse mit dem zusätzlichen Millimeter. Wenn ich in so einer Krampfposition zwanzig Stunden lang verharren muss, bin ich bei der Ankunft tot und kann eine Woche nicht arbeiten, schon gar nicht bei einem Zeitunterschied von zehn Stunden wie in Vanuatu.
Mein Team hingegen ist sportlich und jung und kann selbst im Stehen schlafen, wie ich während der Arbeit immer wieder beobachtet habe. Logische Konsequenz: Das Team sitzt in der Holzklasse, ich in der First. So einfach ist das. Aber auch einfache Dinge können Hass erzeugen.
Nicht bei Wolpers, denn der ist auch der Produzent, muss auf die Kohle achten und würde sich sogar als Luftfracht schicken lassen, wenn es erlaubt wäre. Auch nicht beim Rest des Teams, denn Stephan und Erik sind keine Salonfilmer, sondern Profis auf freier Wildbahn, zu Hause in den Gedärmen des Lebens, die willig mit der Titanic untergegangen wären, wenn der Produzent eine Subjektive verlangt hätte, wie das Wasser von oben zusammenschlägt. Wenn
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