Feuersteins Reisen
ausgenommen, hatte auch ich nicht die geringste Ahnung gehabt, dass Vanuatu »da ist«. Es gab einen ganz anderen Grund: Vanuatu war von einem Tag auf den andern für mich zur Obsession geworden.
In einer meiner vielen wissenschaftlichen Experimente in der Sendereihe »Schmidteinander« wollte ich Anfang 1992 die Ausbreitung des Schalls durch die Erde testen. Dazu wurde das Studiopublikum gebeten, gemeinsam mit Schmidt und mir in die Höhe zu springen. Die Druck- und Schallwelle, die durch den gewaltigen Aufprall von mehr als hundert Menschen auf dem Boden entsteht, würden wir durch den Erdball hindurch verfolgen; mit der Kamera würden wir am anderen Ende bereit stehen und beobachten, was passiert. Die Zeit, die der Schall für diese Reise braucht, hatte ich mit 22 Minuten und 14 Sekunden berechnet.
Nun kommt man, wenn man von Köln aus ein Loch durch den Mittelpunkt der Erde bohrt, dummerweise im Wasser raus, nahe der Auckland-Insel, die nichts mit der gleichnamigen Stadt im Norden Neuseelands zu tun hat, sondern ganz tief im Süden liegt, etwa 200 Kilometer unterhalb der neuseeländischen Südinsel und fast tausend Kilometer von der Hauptstadt Wellington entfernt. Als ich nachts darüber grübelte, weil ich ohnehin nicht einschlafen konnte, da in einer Garage, zwei Häuser um die Ecke, wieder mal der Fehlalarm eines überängstlichen Mercedes losging, brachte mir genau dieses sinnlose Gehupe die rettende Erkenntnis: Der Schall kann ja auch krumme Wege gehen! Wenn ein Hupenton von der Clemens-August-Straße über den Aldi-Parkplatz, seitlich am Amtsgericht vorbei, am Balthasar-Neumann-Platz ankommt, dann könnte die Hüpfwelle im WDR-Studio B durchaus in Wellington eintreffen.
Die Wucht der Erkenntnis hätte mich umgehauen, hätte ich nicht im Bett gelegen. So muss sich Newton gefühlt haben, als ihm damals der Apfel auf den Kopf fiel. Oder Einstein, als er erstmals die Raum-Zeit-Krümmung wahrnahm, wahrscheinlich im Suff. Ich sprang aus dem Bett, rechnete nach und stellte fest, dass unser Hüpfer nicht nur tatsächlich in Wellington rauskommen muss, sondern dort auch genau unter dem Gebäude der deutschen Botschaft. Und so war es auch. Wir sprangen in der Sendung gemeinsam hoch — und nach genau 22 Minuten und 14 Sekunden zeigten unsere Fernkameras, wie dieses riesige Gebäude, erschüttert durch unsere enorme Schallwelle nach ihrem Höllenweg durch das Innere der Erde, in sich zusammenstürzte. In einer riesigen Staubwolke. Und so begann die Freundschaft zwischen »Schmidteinander« und den Leuten der deutschen Botschaft in Neuseeland, denn die wollten ohnehin immer schon ein neues Gebäude.
Gleich in der nächsten Folge überprüften wir, ob Deutschland dort auch wirklich pünktlich vertreten wird, denn zu unserer Sendezeit am Sonntag, 22 Uhr, war es in Neuseeland bereits Montag, 8 Uhr morgens, und da hat ein anständiger Diplomat längst an seiner ersten Protestnote zu feilen. Also riefen wir an — und es war tatsächlich schon einer da. So entstand eine Art Dauerrubrik mit Kultcharakter: »Was gibt’s Neues in Neuseeland?« lautete die Standardfrage, und jeder zweite deutsche Tourist, der in Wellington zufällig am Botschaftsgebäude vorbeilief, schickte uns anschließend Schnappschüsse davon. Auch im Bonner Außenamt hatten wir einen Fan, der sich fast rührend um diese Kontaktpflege kümmerte, und von ihm erfuhr ich, dass es außer in Neuseeland auch in Papua-Neuguinea eine deutsche Botschaft gibt, eine ganz kleine, die wir beim nächsten Bohrversuch zerstören könnten; damit würden wir Bonn sogar einen Gefallen tun, weil sie ohnehin auf der Liste jener Vertretungen steht, die aus Ersparnisgründen geschlossen werden sollten. Sie war zwar auch für die Inselstaaten Kiribati, Tuvalu und Vanuatu zuständig, aber da reist sowieso kein Deutscher hin.
Vanuatu. Das erste Mal, dass ich diesen Namen hörte. Vanuatu. Und ich hatte eine Vision: Sehr wohl wird ein Deutscher da hinreisen. Wahrscheinlich sogar vier Deutsche.
»Warum nicht Papua-Neuguinea? Kiribati oder Tuvalu?« höre ich jemanden fragen. Nun, Papua-Neuguinea gibt natürlich auch eine Menge her, mit seinen Bergketten, die unsere Alpen zu Maulwurfshügeln schrumpfen lassen, mit dichten Regenwäldern noch in Höhen, wo bei uns nicht mal die Zwergkiefer eine Chance hätte, dazu eine Vergangenheit aus Kopfjagd und magischen Männerbünden. Aber das Land ist riesengroß, unzugänglich und gefährlich — die Hauptstadt Port Moresby hält seit
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