Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuersteins Reisen

Feuersteins Reisen

Titel: Feuersteins Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
Vom Netzwerk:
Nahaufnahmen drehen; dann würde ich allein Zurückbleiben und immer kräftig winken, wenn der Hubschrauber seinen Anflug macht.
    Am Hubschrauber wird die rechte Tür ausgebaut, Stephan sitzt dort auf dem Boden, mit den Füßen draußen auf den Kufen, natürlich mehrfach angeschnallt. Das ist eine bitterkalte Tortur, im eisigen Fahrtwind dicht über dem Gletscher, egal, wie sehr man sich auch vermummt. Aber Stephan liebt das, auch wenn ihm das Objektiv am Auge festfriert und wir ihn hinterher mit dem Eispickel von den Kufen abkratzen müssen.
    Der Flug war atemberaubend schön. Alle Nuancen von Weiß, dazwischen Glasberge aus Eis und Schluchten, in denen man das Meerwasser sieht, mitgeschobene Geröllfelder, dazwischen ein Schneeteppich und hochragende Gletscherfelsen. Eigentlich hätte uns der Pilot am Bergrand absetzen sollen, denn das Landen auf dem Gletscher ist verboten. Aber er verstand, was wir brauchten, und fand tatsächlich ein flaches Stück Eis, auf das er die Maschine kurz ab stellen konnte.
    Wir kletterten auf einen mächtigen Felsen aus Eis, Erik und Wolpers bauten die Karte zusammen, Stephan machte die Nahaufnahmen, und dann flogen sie alle weg. Ich blieb allein zurück.
    Als das Rattern des Hubschraubers verklungen war, hörte ich erst die Stille und dann nach und nach den Gletscher. Wie er knackte und manchmal auch gluckste, seltsame und unheimliche Geräusche. Und mir kam plötzlich der Gedanke, dass dies gar kein Filmdreh war, sondern ein Mordanschlag. Da mich die Mücken nicht zu Tode gestochen hatten, setzte mich Wolpers jetzt auf dem Gletscher aus. Wahrscheinlich waren sie alle längst schon auf dem Rückflug, und Wolpers verteilte gerade das Schweigegeld...
    Natürlich war der Gedanke absurd, und ich versuchte gerade, ihn wegzulachen, als mir ein noch viel schlimmerer kam, ein durchaus realistischer: Was ist, wenn der Hubschrauber verunglückt? Wenn Stephan ein riskantes Flugmanöver verlangt, und alle in eine Gletscherspalte fallen? Nach ein paar Stunden würde es natürlich Alarm geben, Suchmannschaften würden losziehen — und dann die Toten finden: Drei Menschen und ein Wolpers, aber niemand würde wissen, dass ein vierter weit draußen auf dem Gletscher sitzt und wartet...
    Ich würde also sitzen und warten, Stunden und Tage... ich kriege heute noch feuchte Augen, wenn ich mir vorstelle, wie ich da sitze und warte. Auch jetzt, beim Niederschreiben. (Beim Korrekturlesen auch schon wieder.)
    Gut, irgendwann würde ich unten in Valdez ankommen, denn der Columbia-Gletscher gehört zu den aktiveren und schiebt sich zwei Meter pro Tag voran. Aber da ich zwanzig oder dreißig Kilometer inland saß, würde das fünfzig Jahre dauern, vielleicht auch nur vierzig, wenn es mit der globalen Erwärmung so weiter geht. Ich würde auf alle Fälle sehr, sehr alt sein, man würde mir nichts glauben und Wolpers würde ungestraft davonkommen. Vielleicht würden mich auch die Mücken auffressen, die hier so groß sind wie Hunde.
    Aber der Hubschrauber kam zurück, und ich winkte, fast außer mir vor Glück und Erleichterung. Ich hatte mich also getäuscht: Wolpers wollte mich gar nicht auf dem Gletscher aussetzen, er war doch nicht so mies, wie ich dachte.
    Er war noch viel mieser.
    Es gab noch einen zweiten Anflug, und ich winkte, dass ich mir fast die Arme auskugelte. Wieder stand der Hubschrauber dicht über mir, so nah, dass ich das Weiße in Stephans freiem Auge sah — vielleicht war es auch Eis, weil es zugefroren war. Aber dann ging der Pilot nicht in die Schräge weg von mir, wie bei den ersten beiden Malen, sondern in die Schräge mir zugewendet... und in diesem Moment spürte ich auch schon den brutalen Luftwirbel des Rotors. Im Schlussbild des Filmes sieht man es ganz genau: Die Karte fliegt in Fetzen weg, der Rahmen zerspringt, ich werfe mich auf den Boden, verkralle mich mit den Fingernägeln im Eis, verbeiße mich mit den Zähnen im Gletscher...
    Wolpers wollte mich also doch ermorden. Indem er den Piloten bat, mich in eine Gletscherspalte zu strudeln. Und es sollte nicht sein letzter Anschlag sein.

VANUATU

Der Untote

    Die klassische Antwort des Bergsteigers auf die Frage, warum er gerade auf diesen Gipfel klettere, lautet: »Weil er da ist.« Das könnte auch meine Antwort auf die so häufig gestellte Frage sein, warum ich als Ziel unserer zweiten Filmreise ausgerechnet Vanuatu wählte. Könnte. Ist sie aber nicht. Denn wie die meisten anderen Menschen dieser Welt, Briefmarkensammler

Weitere Kostenlose Bücher