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Feuersturm: Roman (German Edition)

Feuersturm: Roman (German Edition)

Titel: Feuersturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Bickle
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brüllte Anya. Instinktive Furcht breitete sich in ihrem Bauch aus. Dieses Geräusch konnte von keinem anderen Ort stammen.
    »Nicht zur Hölle.« Die Schwärze zerriss Charons Stimme. »Aber zu einer Straße, die zur Hölle führt.«
    Ehe sie umdrehen und davonlaufen konnte, wusch der Schatten über den Bahnsteig hinweg und sog all die Geister auf. Sie verschwanden wie Taschentücher in einem Staubsauger. Anya kauerte sich zu Boden und hielt Sparky fest umklammert, wie sie es bei den Tornadoübungen in der Grundschule gelernt hatte. Aber der Geisterzug riss auch sie mit sich, als würde sie gar nichts wiegen.
    Sie erlebte einen exquisiten Moment der Schwerelosigkeit und des Fallens. Ihr Körper erhob sich in seiner Rüstung, und sie konnte spüren, wie sich das Material auf ihrer Haut lockerte. Sparkys Gewicht auf ihren Schultern löste sich, obwohl ihre Finger immer noch seine Pfoten umklammerten. Schwärze umgab sie, durchbrochen allein von Lichtfunken, von denen sie annahm, dass sie nur auf ihren Netzhäuten existierten. Vielleicht hatte sie eine Gehirnerschütterung. Sie spürte, wie die um ihren Leib gegürteten Eier sie umkreisten wie glühende Planeten. Die Wirbel in ihrem Rückgrat lockerten sich ebenso wie alle anderen Gelenke, und sie fragte sich für einen Moment, ob Geister sich immer so fühlten, vergänglich und fließend …
    … und dann krachte sie zu Boden. Die Schwärze spie sie donnernd und in einem heftigen Windstoß auf den Beton. Ihre Rüstung klapperte an ihr, als sie mit der linken Schulter und der Hüfte aufprallte und versuchte, Sparky und die Eier zu schützen.
    Ächzend rollte sie sich auf den Rücken, und Sparky löste sich schnaufend aus ihrem Griff. Er stolzierte davon und leckte sich den Rücken, während er zugleich, verärgert über die ruppige Landung, seinen Schwanz ausschüttelte. Anyas Finger huschten zu den Eiern an ihrer Taille und ertasteten keine Schäden. Töricht blinzelte sie in das Licht einer Straßenlaterne und erkannte, dass der Betonboden von einer dünnen Schneeschicht bedeckt war. Weiße Flocken trieben durch den Lichtkegel wie Moskitos im Sommer. Sie schmolzen, sobald sie auf ihr Gesicht oder ihre Rüstung fielen, und schmeckten nach Eisen und Schmutz.
    »Es ist leichter, wenn man im Laufschritt auftrifft.« Charon stand über ihr, die Hände nach wie vor in seinen Taschen vergraben.
    Anya setzte sich auf, zog die Füße an und stemmte sich langsam hoch. Dort, wo sie gelegen hatte, hatte sie das Bild eines Engels in den Schnee gemalt. »Schieb dir das Gerede in deinen Psychopompenarsch, Charon.«
    Charon schnaubte leise und suchte in seiner Tasche nach einer Zigarette. Auf seinen Mantelschultern und in seinem Haar schmolz der Schnee nicht, er sammelte sich nur wie Haarschuppen. Aber Anya nahm Brandgeruch wahr, noch bevor er das Feuerzeug entzündet hatte.
    Ihre Brauen zogen sich zusammen. Sie befand sich auf einer Wohnstraße, einer vertrauten Straße. Obwohl die Auren rund um die Straßenlaternen surreal matt erschienen und die Nummern, die auf den Rinnstein gemalt worden waren, verschwommen und unscharf aussahen, erkannte sie diesen Ort. Sie erkannte den ungleichmäßigen Schotterbelag, die Skelette der Holzapfelbäume, die zu nahe an die Straße gepflanzt worden waren, den gelb lackierten Feuerhydranten. Dies war ein Ort, an dem sie seit ihrer Kindheit nicht gewesen war, ein Ort, den sie zu vergessen versucht hatte.
    Ihre Stimme klang leise und drohend, doch unter der Rüstung war ihr der kalte Schweiß ausgebrochen, Schweiß, der nichts mit dem Schnee zu tun hatte. »Charon! Wo zum Henker sind wir?«
    Die Flamme des Feuerzeugs tanzte über Charons kantiges Gesicht und ließ es für einen Moment inhuman erscheinen. »Der Zug bringt dich an den Ort, den du aufsuchen musst.«
    »Du hast auch gesagt, er führt zur Hölle.«
    »Das läuft aufs Gleiche hinaus. Wir alle müssen durch die Hölle gehen, um an unser Ziel zu kommen.«
    Anya schluckte, drehte sich um und sah zu, wie das Zuhause ihrer Kindheit bis auf die Grundmauern niederbrannte.

KAPITEL SIEBZEHN
    Anya erstarrte.
    Sie erstarrte genauso wie damals als Kind, als sie aufgeblickt und gesehen hatte, dass der Weihnachtsbaum in Flammen stand. Dann hatte Sparky sie aus dem Haus gezerrt. Ihre Mutter war im Obergeschoss gewesen und hatte es nicht mehr geschafft, den Flammen zu entkommen. Sie war im Feuer gestorben … in dem Feuer, an dem die zwölfjährige Anya die Schuld trug. Sie hatte Schuld auf sich

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