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Feuersturm: Roman (German Edition)

Feuersturm: Roman (German Edition)

Titel: Feuersturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Bickle
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Empfänger ihrer Gnade gefiel, sagte ihr gar nicht zu.
    »Das ist ganz ähnlich wie die Fähigkeit, Geister zu sehen« , erklärte Charon. »Sie sind nicht Teil des Alltagsbewusstseins jedes Menschen. Aber wenn man über die banale physische Welt hinausblicken kann, dann erkennt man, dass die Mythen überall ihre Finger haben, dass sie alles berühren und hinter allem stehen. Und hier, auf der astralen Ebene, sind die Mythen und Geister deutlich robuster und machtvoller als sie es in deiner leiblichen Welt je sein könnten.«
    »Hör mal, Charon, ich wurde als braves katholisches Mädchen erzogen. Für meinen Geschmack ist das ein kleines bisschen zu viel New Age.«
    »Gute katholische Mädchen verschlingen keine Geister, ziehen keine Feuerelementare auf und flirten auch nicht mit Motorradfahrern auf der astralen Ebene« , konterte Charon schnaubend. »Ich glaube nicht, dass sich Ischtar für deine Erziehung interessiert. Du hast ihr gefallen, und du wurdest eine der ihren.«
    Charon bog in eine der Nebenstraßen ab, und Anya hielt sich um ihres lieben Lebens willen an ihm fest. Schließlich hielt er vor der Michigan Central Station und schaltete den Motor ab. Die plötzliche Stille brachte Anyas Ohren zum Klingeln.
    Auf der astralen Ebene sah der Bahnhof beinahe genauso aus wie ihm echten Leben: ein heruntergekommener schwarzer Kasten. Doch hier bewegten sich massenweise Leute hinter den Fenstern und an den verzogenen stählernen Gleisen entlang. Anya konnte Hüte und wirbelnde Röcke sehen, konnte das Geschnatter unzähliger Stimmen und das Ächzen des Gepäcks hören.
    »Das sind Geister.« Anya kletterte mit gerunzelter Stirn vom Sozius.
    »Dieser Ort ist das, was er immer gewesen ist: Eine Durchgangsstation für die Geister, die zwischen den Ebenen reisen. Die Seelen kommen hierher, um ins Jenseits zu gelangen, wie immer dieses Jenseits für sie aussehen mag.«
    Anya folgte Charon die Stufen hinauf. »Also … ist das hier das Tor zum Himmel?«
    »Oder zur Hölle. Und zu allem, was dazwischen liegt. Von hier aus kannst du zu jeder Ebene der Realität reisen. Doch die Seelen können sich ihr Ziel nicht aussuchen.«
    Sie gingen durch die Tür in die überfüllte Bahnhofshalle. Hunderte von Geistern schlenderten hier umher, Abbilder von Menschen aus den verschiedensten Epochen: Frauen mit Hauben, Männer mit Schulterpolstern und eng zulaufenden Anzughosen, ein Kind in einem einteiligen Schlafanzug, das ein Stofftier umklammerte. Niemanden schien es zu kümmern, wie unterschiedlich die Vertreter der verschiedenen Zeiten auftraten, und Anya fragte sich, wie lange einige dieser Seelen wohl gebraucht hatten, um diesen Ort zu erreichen. Einige starrten die große Uhr hoch oben an der Wand an, während sie mit Koffern und Aktentaschen in den Händen auf ihren Zug warteten. Andere huschten durch die Menge wie kleine Fische durch einen See, als sie zu ihren Zügen hasteten. Lange Schlangen warteten vor dem Kartenschalter, der unversehrt und vollständig verglast war. Anya sah zu, wie ein Schatten einem Geist einen Fetzen Papier durch die Fensteröffnung zuschob. Der Geist am Anfang der Schlange, ein Mädchen im Teenageralter, nahm das Ticket entgegen. Er warf einen Blick auf die Karte und brach in Tränen aus.
    Charon bahnte sich einen Weg durch die Menge wie ein typischer New Yorker in einer U-Bahn-Station. Anya hatte Mühe, Schritt zu halten, als sie hinter ihm hertrottete. Auf seinem erhabenen Ausguck verdrehte sich Sparky über der Menge den Kopf. Die Leiber der Geister drängten sich gegen sie, kalt wie ein Winterwind, kalt genug, dass ihre Kupferrüstung beschlug. Sparky war noch immer wie eine Feder fest um ihren Hals gewickelt. Sie zitterte, und ihre Rüstung rasselte an ihrem Körper.
    Am Rand des Bahnsteigs blieb Charon stehen und starrte, die Hände in den Taschen, in die Finsternis. »Er kommt bald.«
    »Wer kommt bald?« Anyas Mund war trocken, und sie erkannte ein Licht, das am Rand des Tunnels erblühte, hörte ein schauerliches Geräusch näher kommen.
    »Der Zug. Er bringt dich an den Ort, den du aufsuchen musst.«
    Der Bahnsteig erbebte unter einem Donnern, das einen scharfen Wind mit sich brachte und eine Hitze erzeugte, die die Luft zum Flimmern brachte. Eine Schwärze, so undurchdringlich wie am Fuß einer Kellertreppe, rauschte durch den Tunnel und verdrängte das trübe Licht der Lampen, die über dem Bahnsteig hingen, wie eine Wolke, die über einen Sternenhimmel zog.
    »Er fährt zur Hölle!«,

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