Feuersturm: Roman (German Edition)
lächelte, so tat er das mit dem himmlischen Lächeln eines Engels. Sparky watschelte zu ihm und schnüffelte an ihm. Seine Kiemenwedel richteten sich auf, ertasteten die Aura des Geistes. Der Geist ließ ihn gewähren. Er machte keine plötzlichen Bewegungen und zeigte keinerlei Widerstand.
Sparky mochte unschlüssig sein, aber Anya traute ihm nicht. Ganz und gar nicht. »Du bringst niemanden irgendwohin.«
Charon zog eine Braue hoch. »Das ist nicht deine Entscheidung, Laterne.« Er richtete sich zu voller Größe auf und starrte Anya direkt in die Augen. Als er dann in der Reichweite ihrer Aura wieder das Wort ergriff, fühlte Anya die Kälte, die von ihm ausging. Er war machtvoll; sie spürte die verharrende Zeit, die an ihm zerrte. Sein Atem kondensierte in der Luft. »Für das Mädchen ist es Zeit zu gehen. Du hast ihr einen Dienst erwiesen, indem du sie beschützt hast. Aber was willst du nun tun? Du kannst sie nicht von diesem Ort wegbringen.«
Anya reckte das Kinn vor. Charon hatte recht. Geister waren auf physische Orte fixiert, auf Menschen oder auf Gegenstände. So sehr sie es wollte, sie konnte den Geist des Mädchens nicht in Schutzhaft nehmen. Der einzige Weg, wie sie die Bindung des Kindes an seine Umgebung brechen konnte, war, es zu verschlingen. Oder sie überließ es der Gnade der anderen Geister hier in der Gerichtsmedizin.
»Was … bist du?«, fragte Anya.
Charon zuckte mit den Schultern. »Ich bin ein Führer, mehr nicht. Ich bringe Geister hierhin und dorthin … ein Taxifahrer des Jenseits. Die Gerichtsmedizin ist … eine der Haltestellen auf meiner Route.«
Trina lugte hinter den Regalen hervor. »Ich will mit ihm gehen.«
Anya ballte die glühenden Hände zu Fäusten. Alles, was sie dem Geist zu bieten hatte, war vollständige Vergessenheit.
Und so sagte sie nichts, als Charon die Hand des Mädchens ergriff. Gemeinsam gingen sie durch die Wand des Kühlraums und waren sodann verschwunden.
KAPITEL VIER
»Ich kann noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, dass er tot ist.«
Gina starrte Anya durch ihre Bifokalgläser an und stach mit dem Finger nach Bernies Überresten. Die Pantoffeln waren von Bernies Füßen entfernt worden, und die zierliche Rechtsmedizinerin fummelte mit einer Pinzette an ihnen herum. Asche wallte in winzigen Wogen um die Füße auf dem Edelstahluntersuchungstisch. Anya war nicht sicher, wie viel davon von Bernie stammte und wie viel von der Zigarette in den latexbedeckten Fingern der Achtzigjährigen.
Anya musste wohl eine Grimasse gezogen haben, denn nun brachte Gina ihr runzliges Antlitz ganz dicht an ihres heran. Gina hatte ein Gesicht wie ein Karamellbonbon, das an einem heißen Tag zwischen die Sitze eines Autos gerutscht war. »Den Toten ist es scheißegal, wenn ich rauche. Daran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen.« Die Gerichtsmedizinerin schlurfte zu ihrem Schreibtisch, auf dem Anyas Fotos ausgebreitet waren. Gina war so klein, dass sie die Ärmel ihres Laborkittels hochkrempeln musste, und der Saum strich ihr über die Fußgelenke. Das, zusammen mit dem wuscheligen grauen Haar, machte sie zu Frankensteins Braut im Altersheim.
»Hören Sie, ich bin hundertprozentig sicher, dass der Mann tot ist«, sagte Anya. Allerdings hatte sie nicht vor, Gina zu erzählen, dass sie seinem Geist begegnet war. »Niemand hat ihn mehr gesehen, und der Mann wird wohl kaum ohne Füße durch die Gegend spazieren.«
Gina schaute durch den unteren Teil ihrer Bifokalgläser, um die Fotos zu studieren. »Wirklich interessant.« Gina hatte Anya nur einbestellt, um sich die Fotos anzusehen. Die alte Dame war ein dreister Ghul, und dieser Fall beflügelte ihre Vorstellungsgabe.
»Sie stellen mir keinen Totenschein aus?« So etwas war bisher noch nie vorgekommen.
Gina verdrehte die Augen. »Es finden sich keine Werkzeugspuren, die darauf hindeuten würden, dass die Füße abgesägt wurden, also hab ich mich bei einigen meiner Leichenhausfreunde umgehört. Die meinen, es gäbe möglicherweise genug Asche, um anzunehmen, dass der Bursche verbrannt ist, aber …«
»… dergleichen kann außerhalb eines Krematoriums gar nicht passieren. Ja, ich weiß.«
»Krematorien müssen eine Leiche über Nacht bei ungefähr neunhundert Grad rösten und danach die Knochen maschinell pulverisieren, damit nur noch Asche zurückbleibt. Das ist, als würde man eine Leiche zusammen mit ein paar Bowlingkugeln für einige Stunden in einen riesigen Wäschetrockner stecken.«
»Die von uns
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