Feuersuende
durch die imaginäre Tür der Falconer-Blase. Die linke hatte langes, fast schwarzes, glattes Haar, das ihr bis zur Hälfte des Rückens hinunterreichte, und einen hellen cremefarbenen Teint. Unter ihren dichten, dunklen Wimpern funkelten katzengleich grüne Augen. Ihre Ausstrahlung wirkte kühl und kontrolliert.
„Das ist Calli“, erklärte Malthus, als sie neben ihm stand.
„Calliope Kane“, stellte sie sich selbst vor.
Schließlich zog die dritte Frau Lokans Aufmerksamkeit auf sich. Sie war dunkelhäutig. Ihre Ringellocken fielen ihr bis auf die Schultern. Die Augen waren wie dunkler Bernstein mit einem grünlichen Schimmer. Insgesamt strahlte sie Stolz und Selbstbewusstsein aus.
Als sie sich zu Dagan gesellte, fragte Lokan: „Roxy Tam?“
„Genau. Das bin ich“, kam die Antwort.
Diese Frau also hatte Dana vor den Setnakhts bewahrt. „Ich stehe tief in deiner Schuld“, sagte er. „Du hast meiner Tochter und meiner … und Bryn beigestanden, als ich nicht da war.“
„Das hat mit Schuld nichts zu tun. Das ist in einer Familie doch selbstverständlich.“
Familie. Und zu der gehörten nun offenbar auch diese Isistöchter.
„Wie …?“, wollte er gerade fragen, hielt aber inne. Wenn er erst einmal mit diesen Fragen anfing, würde er so schnell kein Ende finden. Es gab so vieles, das er wissen wollte. Zum Beispiel wie Sutekh all das aufgenommen hatte. Wie seine Brüder dessen Anwesenheit überhaupt noch ertrugen, nach allem, waser getan hatte. Wer hatte Gahijis Nachfolge in der Hierarchie hinter Sutekh angetreten?
Lauter wichtige Fragen. Was in diesem Augenblick wirklich zählte, war jedoch etwas ganz anderes. Lokan schaute gespannt auf jene Tür, und als es so weit war, hätte er vor Freude aus der Haut fahren können.
Denn da war sie. Sein Baby, sein kleines Mädchen. Dana hatte ihr Haar mit rosa Schleifen zu Zöpfen gebunden. In ihren Armen hielt sie eng umschlungen ihre Plüschkatze Flopsy.
„Daddy“, rief Dana, als sie ihren Vater sah.
Lokan sank auf die Knie, und die beiden fielen sich um den Hals.
„Daddy, Daddy, Daddy“, wiederholte das Mädchen immer wieder.
Lokan selbst fand lange keine Worte für die Gefühle, die ihn bestürmten.
Als er endlich den Kopf wieder hob, trafen sich seine und Boones Blicke. Mit allem Möglichen hatte Lokan gerechnet. Dass Boone Dana nicht freiwillig hergeben würde, dass er, Lokan, sich mit Gewalt den Weg zu ihr bahnen musste, aber nicht damit, dass Boone dieses Wiedersehen still betrachtete und dabei Tränen in den Augen hatte.
„Was ist … mit meiner Schwester?“, fragte Boone stockend. Es war überdeutlich, wie schwer ihm diese Frage fiel.
Lokan fehlten die Worte, um darauf zu antworten. Er schüttelte nur stumm den Kopf.
Sie war fort. Weg. Verloren für alle Zeiten. Mit dieser schrecklichen Gewissheit musste er jetzt irgendwie leben.
Mit ihrer kleinen Hand patschte Dana auf Lokans Schulter. „Ich wusste, dass du wiederkommst, Daddy. Mommy war traurig und hat geweint. Aber ich wusste es.“
Lokan hielt sie stumm in den Armen. Wie sollte er ihr beibringen, dass sie ihre Mutter nie wiedersehen würden? Es war unmöglich, dafür die richtigen Worte zu finden. Dafür gab es keine richtigen Worte.
„Hast du mich gesehen?“, fragte Dana und beugte sich zurück, um Lokan anzuschauen. Sie hielt sein Gesicht zwischen den Händen und betrachtete ihn ganz genau. „Hast du mich gesehen? Ich war ganz leise. Mommy wusste nicht einmal, dass ich da bin. Aber ich habe dich gesehen. Und ich sah die vielen Menschen, die Schlange standen und auf das Boot warteten.“ Sie hielt kurz inne. „Aber vor dem Mann im Boot hatte ich Angst. Mit seinen ganzen ekligen Spinnen.“
Entgeistert sah Lokan sie an. Was Dana geschildert hatte, war genau eine der Szenen, deren Zeuge er gewesen war, als er sich in der Todeszone befunden hatte. Charon, der Fährmann, seine knochige Hand, die mit Spinnen bedeckt war, das Boot auf dem blutroten Fluss. Wie konnte es sein, dass Dana davon wusste?
Das war eigentlich nicht das, worüber er sich mit seiner Tochter nach so langer Zeit als Erstes unterhalten wollte. Nur manchmal kommt es anders … Alle, die rings um sie herumstanden, waren mucksmäuschenstill und schauten auf die beiden.
Lokan blickte zu Boone hinüber und war sich sicher, dass der dasselbe dachte wie er. Dana war dort gewesen, in der Todeszone, was bedeutete, dass sie das war, was Bryn auch war – ein Walker.
„Du warst bestimmt ganz leise“, sagte er
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