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Feuertaufe

Feuertaufe

Titel: Feuertaufe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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von Märchen redet, und Märchen kenn ich ja auch, obwohl ich ein dummes Ding aus dem Wald bin. Was mich sehr wundert, ist, wieso du überhaupt keine Angst vor der Sonne hast, Regis. In den Märchen verbrennt die Sonne einen Vampir zu Asche. Soll ich auch das als Märchen abhaken?«
    »Ganz und gar«, bestätigte Regis. »Ihr glaubt, dass ein Vampir nur bei Nacht gefährlich sei, der erste Sonnenstrahl verwandle ihn in Staub. Dem Mythos, der an den Lagerfeuern der Urzeit entstanden ist, liegt eure Solarität zugrunde, das heißt, dass ihr wärmeliebend seid und einen Tagesrhythmus habt, der euch tagsüber aktiv sein lässt. Die Nacht ist für euch kalt, dunkel, böse, bedrohlich, voller Gefahren, der Sonnenaufgang aber bedeutet den nächsten Sieg im Kampf ums Dasein, den neuen Tag, die Fortsetzung der Existenz. Das Sonnenlicht gibt Klarheit und Wärme, die für euch lebenspendenden Sonnenstrahlen bringen den euch feindlichen Monstern Vernichtung. Der Vampir zerfällt zu Asche, der Troll versteinert, der Werwolf verliert seine wölfische Gestalt, der Kobold flieht, die Augen verdeckend. Die nächtlichen Raubtiere kehren in ihre Lager zurück, bedrohen euch nicht mehr. Bis zum Sonnenuntergang gehört euch die Welt. Ich wiederhole und betone: Der Mythos ist an den Lagerfeuern der Urzeit entstanden. Heute ist es nur noch ein Mythos, denn ihr beleuchtet und heizt eure Wohnstätten; obwohl euch noch immer der solare Rhythmus regiert, habt ihr es geschafft, die Nacht zu erobern. Wir höheren Vampire haben uns auch ein wenig von unseren urzeitlichen Krypten entfernt. Wir haben den Tag erobert. Die Analogie ist vollkommen. Hat die Erklärung dich zufriedengestellt, liebe Milva?«
    »Nicht die Bohne.« Die Bogenschützin warf einen Pfeil fort. »Aber ich glaub, ich hab verstanden. Ich lern. Werd schlau. Soziolozie, Aktivazie, Schisselerie, Werwolferie. In der Schule, heißt es, haun sie einen mit der Rute. Bei euch lernt sich's angenehmer. Der Schädel brummt, aber der Hintern bleibt heil.«
    »Eins steht außer Frage und ist leicht zu sehen«, erklärte Rittersporn. »Die Sonnenstrahlen verwandeln dich nicht in Asche, Regis, die Wärme der Sonne hat auf dich so wenig Einfluss wie jenes glühende Hufeisen, das du mühelos mit der bloßen Hand aus dem Feuer geholt hast. Um aber auf deine Analogien zurückzukommen: Für uns Menschen wird der Tag immer die natürliche Zeit der Aktivität bleiben und die Nacht die natürliche Zeit der Ruhe. So ist unsere physische Konstruktion, tagsüber sehen wir beispielsweise besser als nachts. Eine Ausnahme ist Geralt, der immer gleich gut sieht, aber er ist ein Mutant. War das bei den Vampiren auch eine Folge von Mutationen?«
    »Man kann es auch so nennen«, stimmte Regis zu. »Obwohl ich der Ansicht bin, dass eine Mutation, die sich über eine entsprechend lange Zeit erstreckt, keine Mutation mehr ist, sondern zur Evolution wird. Aber was du über die physische Konstruktion gesagt hast, trifft zu. Die Anpassung ans Sonnenlicht war für uns eine bittere Notwendigkeit. Um zu überleben, mussten wir uns in dieser Hinsicht den Menschen angleichen. Mimikry, würde ich sagen. Die übrigens Konsequenzen hat. Bildlich gesprochen: Wir sind vom Regen in die Traufe gekommen.«
     »Wie bitte?«
    »Es bestehen Gründe zu der Annahme, dass Sonnenlicht auf lange Sicht tödlich ist. Es gibt eine Theorie, dass in ungefähr fünftausend Jahren, vorsichtig gerechnet, diese Welt nur noch von Lunarwesen bewohnt sein wird, die nachtaktiv sind.«
    »Gut, dass ich das nicht mehr erlebe«, seufzte Cahir, worauf er herzhaft gähnte. »Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mich erinnert die verstärkte Tagesaktivität vor allem an die Notwendigkeit von Nachtschlaf.«
    »Mich auch.« Der Hexer streckte sich aus. »Und bis zum Aufgang der mörderischen Sonne bleiben nur noch ein paar Stündchen. Doch ehe uns der Schlaf überwältigt... Regis, im Interesse der Wissenschaft und der Fortbildung könntest du noch einen Mythos über Vampire zerstreuen. Denn ich wette, einen hast du noch übrig.«
    »Freilich.« Der Vampir nickte. »Noch einen. Den letzten, aber keineswegs unwichtigsten. Das ist der Mythos, den euch eure sexuellen Phobien diktiert haben.«
    Cahir schnaubte leise.
    »Diesen Mythos habe ich bis zum Schluss aufgespart« - Regis maß den Hexer mit Blicken -, »und ich selbst hätte ihn aus Feingefühl nicht erwähnt, aber Geralt hat mich herausgefordert, also werde ich ihn euch nicht ersparen. Am stärksten

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