Feuertaufe
kann seine Neugier verstehen. Ich, genauer gesagt, ich mit meinem Mythos, verkörpere alle seine Menschenängste. Man kann von einem Menschen schwerlich verlangen, dass er sich von seinen Ängsten befreit. Ängste spielen in der Psyche eines Menschen keine weniger wichtige Rolle als alle anderen Gefühlszustände. Eine Psyche ohne Ängste wäre eine verkrüppelte Psyche.«
»Stell dir vor«, sagte Rittersporn, der die Fassung wiedergefunden hatte, »dass du bei mir keine Furcht erregst. Also wäre ich ein Krüppel?«
Geralt glaubte einen Moment lang, Regis würde die Zähne zeigen und Rittersporn von der vermeintlichen Beschränkung heilen, doch er irrte sich. Der Vampir neigte nicht zu theatralischen Gesten.
»Ich meine die Ängste, die im Bewusstsein und im Unterbewusstsein verwurzelt sind«, erklärte er ruhig. »Stör dich nicht an dem bildhaften Vergleich, aber eine Krähe fürchtet einen Kittel und einen Hut, die an einer Stange hängen, nicht mehr, wenn sie erst einmal die Angst überwunden hat und sich hinsetzt. Doch wenn der Wind die Vogelscheuche bewegt, flieht der Vogel.«
»Das Verhalten der Krähe erklärt sich mit dem Kampf ums Dasein«, bemerkte aus der Dunkelheit hervor Cahir.
»'nen Scheiß erklärt das«, fauchte Milva. »Vor der Vogelscheuche hat die Krähe keine Angst, sondern vor einem Menschen, weil der Mensch ihr mit Steinen und Pfeilen zusetzt.«
»Der Kampf ums Dasein«, pflichtete Geralt bei. »Nur in der Ausführung für Menschen statt für Krähen. Wir danken dir für die Erklärung, Regis, und akzeptieren sie vollauf. Aber grabe nicht in den Abgründen des menschlichen Unterbewusstseins. Milva hat recht. Die Gründe, aus denen manche Menschen mit panischer Angst auf den Anblick eines durstigen Vampirs reagieren, sind nicht irrational, sondern entspringen dem Wunsch zu überleben.«
»Wir hören den Fachmann sprechen.« Der Vampir verbeugte sich leicht zu dem Hexer hin. »Einen Profi, dem der Berufsstolz ja nicht erlauben würde, Geld für einen Kampf gegen eingebildete Ängste zu nehmen. Ein Hexer, der auf sich hält, lässt sich nur für den Kampf gegen das wirkliche und unmittelbar drohende Böse anheuern. Der Profi wird uns sicherlich erklären wollen, warum ein Vampir ein größeres Übel ist als ein Drache oder ein Wolf. Die beiden Letzteren haben ja auch Fangzähne.«
»Vielleicht, weil die beiden Letzteren die Fangzähne aus Hunger oder zur Selbstverteidigung einsetzen, aber niemals zum Spaß, um der Geselligkeit willen oder um Schüchternheit gegenüber dem anderen Geschlecht zu überwinden?«
»Die Menschen wissen davon nichts«, parierte Regis augenblicklich. »Du weißt das seit langem, die übrige Gesellschaft erst seit eben. Der große Rest ist zutiefst davon überzeugt, dass Vampire das nicht zum Vergnügen machen, sondern sich von Blut ernähren, ausschließlich von Blut und ausschließlich von Menschenblut. Blut aber ist ein Leben spendender Saft, sein Verlust wird mit einer Schwächung des Organismus, der Lebenskraft in Verbindung gebracht. Ihr seht das so: Ein Geschöpf, das unser Blut vergießt, ist unser Todfeind. Ein Geschöpf aber, welches uns dieses Blut aussaugt, weil es sich davon ernährt, ist erst recht böse: Es erhöht die eigene Kraft auf Kosten der unseren; damit seine Art gedeiht, muss unsere untergehen. Und schließlich ist solch ein Geschöpf abscheulich, denn obwohl wir den Leben spendenden Wert des Blutes kennen, ist es uns zuwider. Würde jemand von euch Blut trinken? Ich glaube kaum. Und es gibt Menschen, die schon beim Anblick von Blut schwach und ohnmächtig werden. Bei manchen Völkern werden Frauen mehrere Tage im Monat für unrein gehalten und abgesondert...«
»Vielleicht bei den Wilden«, fiel ihm Cahir ins Wort. »Und ohnmächtig wird man beim Anblick von Blut höchstens bei euch Nordlingen. «
»Wir schweifen ab« - der Hexer hob den Kopf -, »sind vom geraden Weg ins Dickicht einer zweifelhaften Philosophie abgeirrt. Glaubst du, Regis, dass es für die Menschen einen Unterschied ausmachen würde, wenn sie wussten, dass ihr sie nicht als Futter betrachtet, sondern als Ausschank? Wo siehst du hier irrationale Ängste? Vampire saugen Menschen das Blut aus, an dieser Tatsache kommt man nicht vorbei. Ein Mensch, den ein Vampir als eine Flasche Schnaps behandelt, verliert Kraft, das ist auch offensichtlich. Ein Mensch, der sozusagen geleert wird, verliert seine Lebenskraft definitiv. Für gewöhnlich stirbt er. Entschuldige, aber die
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