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Feuertaufe

Feuertaufe

Titel: Feuertaufe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Furcht vor dem Tode kann man nicht in einen Topf werfen mit einer Abscheu vor Blut. Ob das nun Monatsblut ist oder anderes.«
    »Ihr redet so klug, dass einem schwindlig wird«, fauchte Milva. »Und dabei drehn sich diese ganzen Weisheiten um das, was 'n Weib unterm Rock hat. Philosophen, beschissne.«
    »Lassen wir die Blutsymbolik für einen Augenblick beiseite«, sagte Regis. »Denn diese Mythen haben ja tatsächlich eine gewisse Begründung in den Tatsachen. Konzentrieren wir uns auf die Mythen, die sich nicht auf Fakten stützen, aber dennoch weit verbreitet sind. Es weiß ja jeder, dass jemand, der von einem Vampir gebissen wird, selbst Vampir werden muss. Nicht wahr?«
    »Stimmt«, sagte Rittersporn. »Es gab da eine Ballade ...«
    »Kennst du die Grundlagen der Arithmetik?«
    »Ich habe alle sieben freien Künste studiert. Und mein Diplom habe ich summa cum laude erhalten.«
    »In eurer Welt sind nach der Sphärenkonjunktion ungefähr eintausendzweihundert höhere Vampire zurückgeblieben. Die Zahl der Abstinenzler - denn davon gibt es außer mir noch eine ganze Menge - wird von der Zahl derjenigen aufgewogen, die übermäßig trinken, wie ich seinerzeit. Im statistischen Mittel trinkt ein Vampir bei jedem Vollmond, denn der Vollmond ist für uns ein Feiertag, den wir üblicherweise... äh... begießen. Wenn wir uns am Menschenkalender orientieren und von zwölf Vollmonden im Jahr ausgehen, erhalten wir eine theoretische Anzahl von 14 400 gebissenen Menschen pro Jahr. Seit der Konjunktion sind, wieder nach eurer Zeitrechnung, ungefähr eintausendfünfhundert Jahre vergangen. Aus einer einfachen Multiplikation ergibt sich, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf eurer Welt theoretisch 21600000 Vampire existieren müssten. Wenn wir jedoch die Rechnung um das geometrische Anwachsen ergänzen ...«
    »Es reicht«, seufzte Rittersporn. »Ich habe keinen Abakus, aber ich kann mir die Zahl vorstellen. Genauer gesagt, nicht vorstellen. Das heißt, die Ansteckung mit Vampirismus ist Unsinn und frei erfunden.«
    »Danke.« Regis verneigte sich. »Kommen wir zum nächsten Mythos, der da lautet: Ein Vampir ist ein Mensch, der gestorben ist, aber nicht vollends. Im Sarg verfault er nicht und zerfällt nicht zu Staub. Er liegt frisch und rotbäckig im Grab, bereit, herauszukommen und zu beißen. Woher kommt so ein Mythos, wenn nicht von eurer unterbewussten und irrationalen Abscheu vor den ehrenwerten Verstorbenen? Ihr umgebt die Toten mit Ehrerbietung und Gedenken, träumt von der Unsterblichkeit, in euren Mythen und Legenden steht alle naselang jemand von den Toten auf, besiegt den Tod. Aber wenn plötzlich euer lieber dahingegangener Urgroßvater tatsächlich aus dem Grabe aufstehen und Bier verlangen würde, würde Panik ausbrechen. Und das wundert mich nicht. Organische Materie, in der die Lebensprozesse zum Stillstand kommen, unterliegt einer Degradation, die sich auf unangenehme Weise bemerkbar macht. Sie stinkt, zersetzt sich, zerfließt. Die unsterbliche Seele, unumgänglicher Bestandteil eurer Mythen, verlässt voller Ekel das stinkende Aas und fliegt davon. Sie ist rein, ihr kann man unbesorgt Ehre erweisen. Ihr habt euch jedoch solch eine widerliche Art von Seele ausgedacht, die nicht fortfliegt, den Leichnam nicht verlässt, ja, nicht einmal stinken will. Das ist ekelhaft und unnatürlich! Ein lebender Toter ist für euch die abscheulichste von allen abscheulichen Abnormitäten.«
    »Die Menschen«, sagte Geralt mit einem leichten Lächeln, »sind eine primitive und abergläubische Rasse. Es fällt ihnen schwer, ein Wesen ganz zu verstehen, das von den Toten aufersteht, obwohl es mit Pflöcken durchbohrt, enthauptet und für fünfzig Jahre in der Erde vergraben worden ist.«
    »Ja, das ist fürwahr schwer.« Der Vampir ging nicht auf den Spott ein. »Eure mutierte Rasse lässt sich Fingernägel, Haare und die Oberhaut nachwachsen, ist aber unfähig zu akzeptieren, dass es Rassen gibt, die in dieser Hinsicht mehr vermögen. Diese Unfähigkeit resultiert jedoch nicht aus einer primitiven Natur. Ganz im Gegenteil: aus Egozentrismus und der Überzeugung von eurer Vollkommenheit. Etwas, das vollkommener ist als ihr, muss eine widerwärtige Aberration sein. Und widerwärtige Aberrationen werden in Mythen übertragen. Zu soziologischen Zwecken.«
    »Einen Scheiß versteh ich von alledem«, teilte Milva ruhig mit, während sie sich mit einem Pfeilschaft die Haare aus der Stirn strich. »Ich versteh immer bloß, dass ihr

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