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Feuertaufe

Feuertaufe

Titel: Feuertaufe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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knackte ein Zweig.
    Milva rückte den langgedienten, bis zum Glanz abgescheuerten ledernen Armschutz am linken Unterarm zurecht, legte die Hand in die am Griff befestigte Schlinge. Automatisch, gewohnheitsmäßig überprüfte sie die Schärfe der Pfeilspitze und die Fiederung. Die Schäfte hatte sie auf dem Jahrmarkt gekauft - wobei sie im Schnitt einen von zehn ausgewählt hatte, die man ihr anbot -, die Federn aber stets selbst angebracht. Die meisten im Handel erhältlichen fertigen Pfeile hatten Federn, die zu kurz und gerade am Schaft entlang angebracht waren, Milva aber verwendete ausschließlich Pfeile, deren Federn spiralförmig angesetzt und mindestens fünf Zoll lang waren.
    Sie legte den Pfeil auf die Sehne und schaute zur Talöffnung hin, auf den zwischen Baumstämmen grünenden Fleck von Berberitzen, an dem in schweren Trauben rote Beeren hingen.
    Die Finken waren nicht weit fortgeflogen, sie begannen wieder zu schlagen. Komm, Ricklein, dachte Milva, während sie den Bogen hob und spannte. Komm. Ich bin bereit.
    Aber die Rehe gingen durch den Hohlweg, auf den Sumpftümpel und die Quellen zu, die die ins Bandwasser fließenden Rinnsale speisten. Aus dem Talkessel kam ein Rehbock. Hübsch, dem Anschein nach über vierzig Pfund. Er hob den Kopf, spitzte die Lauscher, dann wandte er sich zu den Büschen ab, knabberte an Blättern.
    Ein günstiger Schuss - von hinten. Wäre da nicht ein Baumstamm gewesen, der das Ziel verdeckte, hätte Milva ohne zu zögern geschossen. Sogar wenn sie in den Bauch traf, würde der Pfeil ihn durchschlagen und Herz, Eingeweide oder Lunge erreichen. Traf er in eine Keule, würde er eine Arterie zerreißen, auch dann müsste das Tier nach kurzer Zeit fallen. Sie wartete, ohne die Sehne loszulassen.
    Abermals hob der Bock den Kopf, machte einen Schritt, kam hinter dem Stamm hervor - und wandte sich plötzlich um, so dass er ihr die Vorderseite zukehrte. Milva, die den Bogen vollends gespannt hatte, hielt den Pfeil zurück und fluchte in Gedanken. Ein Schuss von vorn war unsicher - statt in die Lunge konnte der Pfeil in den Bauch treffen. Sie wartete, hielt die Luft an, spürte im Mundwinkel den salzigen Geschmack der Sehne. Das war noch ein großer, geradezu unschätzbarer Vorzug ihres Bogens - wenn sie eine schwerere oder weniger sorgfältig gearbeitete Waffe benutzt hätte, dann hätte sie ihn nicht so lange gespannt halten können, ohne zu riskieren, dass ihr die Hand ermüdete und der Schuss ungenau wurde.
    Zum Glück senkte der Bock den Kopf, zupfte aus dem Mulm ragende Grashalme ab und wandte sich zur Seite. Milva atmete ruhig aus, zielte auf den Brustkasten und ließ sacht die Sehne los.
    Sie vernahm jedoch nicht das erwartete Knacken einer vom Pfeil zerbrochenen Rippe. Stattdessen sprang der Bock hoch, schlug hinten aus und verschwand, vom Knistern trockener Zweige und dem Rascheln gestreifter Blätter begleitet.
    Ein paar Herzschläge lang blieb Milva reglos stehen, versteinert wie die Marmorstatue einer kleinen Waldgöttin. Erst als alle Geräusche verklungen waren, nahm sie die rechte Hand von der Wange und ließ den Bogen sinken. Nachdem sie sich die Fluchtrichtung des Tieres eingeprägt hatte, setzte sie sich ruhig hin, den Rücken gegen einen Baumstamm gelehnt. Sie war eine erfahrene Jägerin, wilderte von Kindesbeinen an in den herrschaftlichen Wäldern; das erste Reh hatte sie mit elf Jahren erlegt, den ersten Vierzehnender - als unglaublich glückliches Jagd-Omen - an ihrem vierzehnten Geburtstag. Und die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass man sich bei der Verfolgung eines angeschweißten Tiers niemals beeilen soll. Wenn sie gut getroffen hatte, musste der Bock höchstens zweihundert Schritt vom Ausgang des Talkessels gefallen sein. Hatte sie schlechter getroffen - was sie im Prinzip nicht für möglich hielt -, dann konnte Eile die Sache nur schlimmer machen. Ein schlecht getroffenes verwundetes Tier, das man nicht beunruhigt, wird nach der panischen Flucht langsamer und geht im Schritt weiter. Ein Tier, das man verfolgt und schreckt, rennt Hals über Kopf weiter und macht auch hinter sieben Bergen noch nicht Halt.
    Ihr blieb also mindestens noch eine halbe Stunde Zeit. Sie nahm einen abgerissenen Grashalm zwischen die Zähne und gab sich wieder ihren Gedanken hin. Sie erinnerte sich.
     
    Als sie nach zwölf Tagen in den Brokilon zurückgekehrt war, konnte der Hexer schon gehen. Er humpelte leicht und zog die Hüfte ein wenig nach, doch er ging. Milva wunderte

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