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Feuerwasser

Feuerwasser

Titel: Feuerwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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und er wäre der tiefste von allen gewesen.
    Die bedeutendste Zeit des Staudammbaus reichte in die 50er- und 60er-Jahre zurück, als das Bauvolumen derart umfangreich war, dass es in einzelnen Kantonen das Volkswirtschaftsaufkommen aus den restlichen Erwerbszweigen zeitweise überstieg. Seit den 70er-Jahren war jedoch damit Schluss, in den folgenden Jahrzehnten wurde das Geld für Atomkraftwerke verschleudert.
    Dann studierte Müller noch ein paar offizielle Statistiken aus der Bundesverwaltung und stellte fest, dass die Stromproduktion aus Wasserkraft zwar gewissen Schwankungen unterlag, in den letzten 20 Jahren jedoch stabil geblieben war, ebenso stabil übrigens wie der Energieverbrauch pro Haushalt und pro Kopf der Bevölkerung. Der Trinkwasserverbrauch war sogar deutlich rückläufig.
    Diese Zahlen hatte Heinrich Müller nicht erwartet. Er war von einer stets höheren Nachfrage ausgegangen. Aber offenbar konzentrierte sich diese auf weitere Energieträger wie Erdöl oder Strom aus anderen Quellen.
    »Schlechte Karten für ein derartiges Prestigeprojekt«, sagte der Detektiv zu Baron Biber.
    »Schlechte Karten für Kurt Grünig«, antwortete Nicole, die unbemerkt hinter ihn getreten war und ihm ein Glas kühles, kohlensäurehaltiges Mineralwasser reichte, das einen bitteren Nachgeschmack hinterließ, von dem Heinrich nicht wusste, ob sich der noch in seinen Geschmacksknospen versteckt gehalten hatte.
    Dann erklärte er Nicole, dass er ihr etwas Tolles vorspielen wolle, legte eine CD in die Stereoanlage, und man hörte seltsame Geräusche, die von einer unterirdischen Orgel zu stammen schienen. So etwas war es auch, nämlich die unmöglichste Kombination von Klassik bis zu amerikanischen Gassenhauern der Nachkriegszeit, gespielt auf den Stalaktiten der Luray-Höhlen in Virginias Shenandoah-Tal. Als Heinrich Nicole um einen Kommentar bat, stellte er fest, dass ihr Teufelchen Lucy sie geritten und zum Verlassen seiner Wohnung gedrängt hatte.

Donnerstag, 11. September 2008

    Die Nacht war regennass und tilgte alle Spuren, sie tränkte den Boden mit so viel frischem Wasser, dass sich alle Pflanzen, die die karge Erde besiedelten, von den Verletzungen der trockenen Tage erholten. Von unachtsamen Füßen niedergetrampeltes Gras richtete sich wieder auf, Abdrücke von Schuhen verschwanden im weißen Quarzsand, geglättet von prasselnden Tropfen, die ihrerseits neue Spuren hinterließen. Picknickreste und Blut wurden von den Steinen gewaschen und versickerten im Moor.
    Ja, auch Blut.
    Denn es war eine gute Nacht zum Sterben. Und es war ein besonderer Ort dafür. Die Frau, die mit einer Drahtschlinge um den Hals neben einem halb vermoderten Baumstamm lag, der gelegentlich als Viehtränke diente, wurde von einem mannshohen Felsen bewacht. Im fahlen Licht des Mondes erkannte man ein düsteres Gesicht, schwere, traurige Augen, eine breite Nase und einen Mund, der etwas zu den Geistwesen hinüberschrie, die auf der feuchten Lichtung tanzten, Feen, Zwerge, Hexen, Erd- und Nebelgeister. Sie vollführten die rhythmisch-gemessenen Schritte eines Totentanzes. Der Steinkoloss gab den Takt vor, wie fernes Dröhnen von Schamanentrommeln, das sich über die verzauberte Landschaft legte.
    Die wilde Schar entstammte dem heidnischen Volk, das vor langer Zeit in einer großen Stadt auf der Alp gewohnt hatte, die man heute als Seefeld bezeichnet. Sie liegt oberhalb von Habkern gegen den Bergkamm der Sieben Hengste zu, von denen sie durch die Karrenfelder des Schrattenkalks und die Sandsteinbänke des Wagenmooses getrennt ist. Etwas höher findet man eine Höhle namens Tropfloch. Tief darunter soll sich ein den Menschen unzugängliches System von Kavernen befinden, das unterhalb Beatenberg in der Beatushöhle, aus der im 6. Jahrhundert der irische Missionar Beatus einen Drachen verjagt haben soll, wieder zutage tritt.
    Tief im Erdinnern bewachen Zwerge drei riesige Diamanten, kostbarer als alle Schätze des Berner Oberlands zusammen. Dort leben aber auch die Bewohner der alten Stadt, die den heiligen Justus, nach dem das benachbarte Justistal benannt worden ist, nicht in ihre Mauern eingelassen und ihn sogar geschlagen haben. Da tat die Erde ihren Mund auf und verschlang die Ungerechten. Seither hört man bisweilen ein stundenlang donnerndes Geräusch, das die Unseligen in den Tiefen des Berges erzeugen.
    Tatsächlich erstreckt sich das Höhlensystem Siebenhengste-Hohgant auf einer Länge von 150 Kilometern mit einer Tiefe von 1.300

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