Feuerwasser
findenden Spuren zerstört. Die Frau war von Nadeln gesäubert, das störende Astwerk beseitigt, die Haare zurückgeschlagen, damit die Kameras freie Sicht hatten.
Als Spring näher trat, sah er die Drahtschlinge, die so eng am Hals anlag, dass er sie auf den ersten Blick nicht bemerkt hatte. Da trat ein rotbackiger Mann freudestrahlend auf ihn zu, wollte ihm die Hand schütteln und sagte: »Die Frau ist tot. Ein Mord, so schön, als man ihn nur verlangen tun kann. Machen Sie Ihre Arbeit.«
Spring trat ein paar Schritte zurück und sagte so leise, dass es nur Pascale Meyer hören konnte: »Warum bloß hat er sie hier liegen lassen und nicht in eine Karsthöhle geschleppt?«
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1 Literarisch verarbeitet im lesenswerten Bergkrimi ›Eigerjagd‹ von Paul Townend.
Freitag, 12. September 2008
Störfahnder Bernhard Spring von der Police Bern fuhr sich mit den Fingern der linken Hand über die beiden Falten seitlich des Mundes, benetzte mit der Zunge seine Lippen und beugte sich über seinen Schreibtisch im alten Waisenhaus, wo er vor einigen Monaten sein Büro bezogen hatte. Er hatte Heinrich Müller und Nicole Himmel eingeladen, um sie über die neuesten Entwicklungen zu informieren. Auch Pascale Meyer saß im Raum und pflegte ihre schwarz lackierten Fingernägel.
»Nun gibt es selbst in der abgeschiedenen Idylle des Seefelds die Möglichkeit, dass ein Irrer oder ein Nachahmungstäter ein Opfer ausgesucht hat. Aber die Wahrscheinlichkeit tendiert gegen null. Der Aufwand ist einfach zu groß. Und es passt nicht zum Tatortbefund«, fasste er zusammen.
»Also kein zufälliges Zusammentreffen. Der Täter braucht ein starkes Motiv, um die Frau an diesen abgelegenen Ort zu locken«, meinte Müller.
»Und die Frau ein Motiv, um sich im Seefeld aufzuhalten.«
»Wandern«, schlug Müller vor.
»Über das Wandern hinaus«, sagte der Störfahnder.
»Vielleicht ist es ja umgekehrt«, widersprach Nicole. »Der Täter hat bereits einen Ort, weil er sich in der Gegend besonders gut auskennt oder in der Nähe wohnt. Und er hat einen ausreichenden Grund dafür, die Frau dorthin zu locken.«
»In Kopenhagen gibt’s einen Spezialisten für Geographical Profiling. Der grenzt den Wohnort des mutmaßlichen Täters aufgrund der geographischen Daten seiner Tatorte ein. Wenn die beiden Verbrechen in einer Stadt begangen worden wären, hätte ich ihn bereits angefordert. Aber in dieser Gegend wohnen weit und breit nur Sennen und Zusennen, und das auch nur im Sommer. Aber selbst die werden wir überprüfen müssen.« Spring seufzte. »Viel Arbeit.«
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, gehst du davon aus, dass die beiden Tötungen zusammenhängen?«, fragte Müller.
»Keine Ahnung«, antwortete Spring, »aber bis ich eine bessere Idee habe, passt diese Hypothese genauso gut wie jede andere.«
Plötzlich läuteten das Telefon und Springs Handy fast gleichzeitig. Der Störfahnder bedeutete Pascale Meyer, den Anruf entgegenzunehmen und griff zum Mobiltelefon.
Mit drei knappen »Ja« beendete Spring sein Gespräch und wandte sich Pascale zu, die immer noch den Hörer in der Hand hielt.
»Die Rechtsmedizin«, sagte sie.
»Wir kommen in einer Viertelstunde vorbei«, gab er zur Antwort.
Dann wandte er sich an alle und sagte: »Unsere Tote heißt Sara Reber. Ihre Tochter Oxana hat sie heute Morgen als überfällig gemeldet, sie habe bemerkt, dass die Mutter gestern nicht nach Hause gekommen sei, was sie sonst nie mache. Ihre Beschreibung deckt sich mit dem Aussehen des Opfers. Ich habe sie gleich zur Rechtsmedizin bestellt. Deswegen fahren wir alle hin.«
»Warum?«, fragte Pascale Meyer. Die Stunden im Bräunungsstudio waren plötzlich nutzlos geworden. »Wir haben doch bereits die Tatortfotos.«
»Falls die Identifizierung korrekt ist, müssen wir sowieso in die Länggasse, denn dort hat die Verblichene ein Atelier als Architekturmodellbauerin. Die Tochter wird uns hinführen. Außerdem, meine liebe Pascale, sind Fotos nur Aufnahmen des in einem bestimmten Moment Sichtbaren. Sie zeigen weder, was zur Tatzeit, noch was in den Stunden davor oder danach geschehen ist. Sie vermitteln unter Umständen einen völlig falschen Eindruck. Wenn wir zu viel Fantasie in sie hineinprojizieren, leiten sie uns in die Irre«, dozierte der Störfahnder. »Das Gefährlichste daran ist, dass du Mitleid mit dem Opfer bekommst.«
»Was ist daran falsch?«, fragte Pascale Meyer.
»Alles«, sagte Spring, »denn es gibt Fälle, in denen das
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