Feuerwogen
zusammenzunehmen. »Sie hat an der Highschool getrunken. Genau wie Sie und jeder andere auch. Ich weiß nicht, was sie in Boston getrieben hat. Aber wenn sie jetzt etwas angestellt hätte, hätte ich es erfahren.«
Caleb nickte. Auf der Insel begann man früh mit dem Arbeiten und dem Trinken. Aber wenn man ein Problem hatte, redeten die Nachbarn darüber. Das wusste Caleb nur zu gut. Er war als Sohn eines Säufers groß geworden.
»Was ist mit Männern? Partnern?«
»Sie will mit den Inselmännern nichts zu tun haben.«
»Das könnte für Frust sorgen. Hat sie erwähnt, dass irgendjemand ihr nachgestellt oder Ärger gemacht hat?«
Antonia verschränkte die Arme. »Sie meinen außer Ihrem Bruder? Warum fragen Sie nicht ihn, wo sie ist?«
Ihre Blicke bohrten sich ineinander.
»Ich rede mit ihm«, entgegnete Caleb finster.
Wenn er ihn fand.
Caleb ging nicht davon aus, dass sein Bruder einer Frau wehtun würde. Zumindest nicht körperlich. Aber ebenso unwahrscheinlich war, dass ihn das Schicksal einer Menschenfrau berühren konnte.
Margred behauptete, Dylan sei in Wirklichkeit hier, um etwas für den Selkie-Prinzen in Erfahrung zu bringen.
Sehr gut. Wenn Dämonen auf World’s End waren, dann hoffte Caleb, dass die Mer sich darum kümmerten. Denn bei Streitigkeiten zwischen Selkies und Dämonen konnten Menschen nur verlieren.
Caleb konnte die Möglichkeit nicht ignorieren, dass Dylans Anwesenheit und Reginas Verschwinden irgendwie zusammenhingen. Aber er konnte auch nicht zulassen, dass Spekulationen seine Ermittlungen steuerten. Menschen taten einander immer wieder schlimme Dinge an. Sie mochten es vielleicht dem Teufel in die Schuhe schieben, aber meistens war doch die menschliche Natur schuld daran.
Caleb wollte verdammt sein, wenn er wusste, warum ein Dämon es auf eine neunundzwanzigjährige Restaurantköchin abgesehen hatte.
Dylan konnte es ihm sagen.
Nur schade, dass sein Bruder noch nie da gewesen war, wenn Caleb ihn gebraucht hatte.
Dylan tauchte in den nassen, salzigen Schoß der See ein. Er spürte, wie das Wasser seinen Pelz streichelte und ihn wie eine Geliebte umfing. Hier war er bis in jede Haarspitze, bis in jede Zelle lebendig.
Hier war er frei.
Er schwamm durch den gewaltigen grünen Dämmer, den kalten, salzigen Wald aus Tang. Durch Sonnenstrahlen und Kelpsäulen, an Kolonien von glänzenden schwarzen Miesmuscheln und milchweißen Ohrenquallen vorbei. Der Takt der Brandung war sein Pulsschlag, das Rauschen der Wellen besser als Atmen. Er tauchte hinab und ließ sich wieder nach oben tragen. Keine Schwerkraft. Keine Verpflichtungen.
Reginas Worte rissen jäh an ihm wie ein Angelhaken und störten seinen Frieden.
»Versuch erst mal, eine Zeit lang für jemand anderen außer dir Verantwortung zu tragen, und dann reden wir weiter.«
Er schwamm tiefer. Er trug Verantwortung, verdammt. Er war doch hier, oder? Er gehorchte dem Prinzen und erledigte seinen Job.
Dylan atmete eine Wolke von silbernen Luftblasen aus. Nur konnte er Regina das nicht erzählen.
Nicht, dass sie es verstanden oder ihm geglaubt hätte. Die sturköpfige, scharfzüngige Regina mit ihrem lebendigen Lachen und dem aufbrausenden Gemüt war eben durch und durch eine Menschenfrau.
Und er war …
Er war früher ein Mensch gewesen.
Dieser Gedanke war ein weiterer Angelhaken. Er hatte sich für einen Menschen gehalten. Hatte geglaubt, er sei Teil einer Familie.
Eine Erinnerung zog an ihm, so stark wie die Strömung: an seine Mutter, wie sie sie alle zu einem Foto gruppierte – den zehnjährigen Caleb mit der lächelnden kleinen Lucy auf dem Schoß und Dylan, der bereits ein wenig abseits stand. Schon damals hatte er gewusst, dass er anders war, dass alles sich bald ändern würde.
Er hatte nur nicht geahnt, wie sehr.
Er hätte niemals gedacht, dass er die Verantwortung für das Auseinanderbrechen ihrer Familie tragen würde.
Er raste durch das Wasser, das voller Licht und Leben war, und schoss an die Oberfläche in die frische, leuchtende Morgenluft. Das Meer war seine Zuflucht, der Ort, an dem er fühlen und atmen und einfach sein konnte. Aber heute konnte er seinen Gedanken nicht davonschwimmen. Konnte Reginas Bild nicht entfliehen, der glatten Haut ihrer Arme und ihrer Brust, dem Goldkreuz, das unter ihrem Schlüsselbein funkelte, ihrem finsteren Blick.
»Ich kann Nick keine Mutter sein, die immer da ist. Das Mindeste, was ich tun kann, ist, ihm einen Kerl zu ersparen, der sowieso nicht bleibt.«
Dylan stieß
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