Feuerwogen
ob er an den Tatort eines Verbrechens gerufen worden war.
Bei einer ersten Inspektion ließ nichts darauf schließen, dass Regina ein Opfer von Gewalt geworden war. Keinerlei Hinweise auf gewaltsames Eindringen, keine Kampfspuren, keine unheilvolle Notiz, die auf Selbstmord oder eine Entführung hindeutete. Keine Zerstörungswut, kein Diebstahl. Die Quittungen des vorangegangenen Tages waren ordentlich abgerechnet, der Bankbeutel lag gut sichtbar neben der unberührten Kasse. Alles war sauber, alles – außer einem Mop, der auf dem Boden lag – befand sich an seinem Platz.
Die schlechte Nachricht lautete, dass Regina einfach fort war. Verschwunden. Und bis die Spurensicherung da sein würde, hatte Caleb fast nichts, womit er hätte arbeiten können.
Er stand mitten im Wohnzimmer der Vermissten, einem abgewohnten Raum, den nur eine rote Decke über der Rücklehne der Couch und das grüne und goldene Seeglas aufhellten, das vor den Fenstern hing. Die Sonne begann gerade, den Rand der Fenster mit Licht zu säumen.
Caleb fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Es würde ein langer Tag werden.
Antonia blickte finster drein. »Ich bringe den Jungen nirgendwohin. Ich habe ihn erst vor einer Viertelstunde ins Bett gesteckt.«
»Ich bezweifle, dass er schläft«, erwiderte Caleb.
Er hatte Nick nur kurz gesprochen, bevor er nach unten gegangen war, um gelbes Polizeiband vom Gehsteig vor dem Restaurant bis zum Parkplatz zu spannen und alles abzusperren.
Wenn das den Fischern, die früh am Morgen hinausfuhren, keinen Gesprächsstoff lieferte.
Der Junge hatte geweint, aber gefasst gewirkt. Er erinnerte sich daran, dass die Wohnungstür verschlossen und die Küchentür zu, aber nicht abgesperrt gewesen war. Nein, seit dem Abendessen hatte er seine Mutter nicht mehr gesehen. Nach dem ersten Film. Um sieben? Seine großen Augen suchten Calebs Blick, um es sich bestätigen zu lassen. Um sich beruhigen zu lassen.
»Es geht ihr doch gut, oder?«,
hatte er gefragt.
»Du musst sie finden.«
Caleb hatte nicht so geantwortet, wie es sich der Junge wünschte.
»Das ist mein Job«,
hatte er sanft gesagt.
Antonia kniff trotzig die Lippen zusammen. »Dem Jungen geht es in seinem Bett besser.«
»Das stimmt schon«, pflichtete Caleb ihr bei. »Aber ich muss die Wohnung durchsuchen.«
»Warum? Sie haben Nick doch gehört. Sie ist gestern Abend gar nicht nach Hause gekommen.«
»Wir glauben, dass sie nicht nach Hause gekommen ist. Das heißt aber nicht, dass uns Dinge aus ihrem Besitz nichts verraten könnten.«
»Welche Dinge?«
Er schuldete ihr eine Erklärung. Wenn schon nicht in ihrer Rolle als Reginas Mutter, dann wenigstens in der seiner Vorgesetzten, der Bürgermeisterin. »Adressbücher. Gespeicherte Nachrichten im Handy. Kreditkartenabrechnungen. Wenn wir wissen, wen sie kennt …«
»Himmel, Cal, wir kennen jeden Einzelnen, den sie kennt. Und wir wissen, wer das getan hat. Dieser Obdachlose, Jericho Sowieso. Sie müssen ihn suchen.«
»Das werde ich«, versprach Caleb. »Sobald ich hier fertig bin. Aber jetzt will ich, dass Sie Nick mit nach Hause nehmen und dort abwarten.«
»Wer wird dann das Restaurant aufsperren?«
»Niemand. Es bleibt geschlossen, bis ich den Tatort freigeben kann.«
Antonias harter Mund bebte. »Sie glauben, dass sie tot ist.«
»Im Moment stelle ich keinerlei Vermutungen an«, erwiderte Caleb mit fester Stimme. Es war besser, für sich zu behalten, worauf er hoffte und wovor er Angst hatte. »Vielleicht ist sie ja spazieren gegangen. Oder sie hat eine Freundin besucht. Ich muss trotzdem alle Spuren sichern, solange die Möglichkeit besteht, dass es welche gibt.«
Er sagte ihr nicht, dass das, was er finden würde, wahrscheinlich nicht dazu angetan war, den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen. Es gab niemanden auf der Insel, der nicht in Antonias Restaurant verkehrte und dessen Fingerabdrücke und Anwesenheit mithin nicht zu erklären gewesen wären.
»Und was soll ich in der Zwischenzeit tun? Außer durchzudrehen?«
»Stellen Sie eine Liste von allen Personen für mich zusammen, mit denen sie gesprochen hat, von Freundinnen und von jedem, der sie vielleicht mitten in der Nacht angerufen haben könnte …«
»Regina würde Nick nicht allein lassen.«
Das hatte sich auch Caleb schon gedacht. »Können Sie sich etwas anderes vorstellen, das erklären würde, warum sie ein paar Stunden verschwindet? Drogen, Alkohol, irgendetwas in dieser Richtung?«
Antonia gab sich sichtbar Mühe, sich
Weitere Kostenlose Bücher