Feuerwogen
die Hand seines Bruders fallen.
Regina kauerte in ihrer stillen Felsenkammer. Die Dunkelheit war
nicht
schlimmer als die Kälte. Die Dunkelheit konnte sie nicht umbringen. Die Kälte schon.
Die Zeit verging. Minuten? Stunden? Sie war kein bisschen trockener geworden. Ihr Haar, ihr T-Shirt und ihre Jeans trieften noch immer. Die Kälte kroch in ihre Kleider. Ihr Blut. Ihre Knochen.
Die bedrückende Lautlosigkeit, die unerbittliche Leere raubten ihr die Energie. Lasteten schwer auf ihrem Gemüt. Brachten ihren Verstand durcheinander.
Sie döste. Manchmal träumte sie – vom Gesicht ihres Sohnes, der Stimme ihrer Mutter, dem Baby in ihr –, um mit tränenüberströmtem Gesicht aufzuwachen, wieder allein. Immer allein.
»Es tut mir leid, Ma. Ich wollte nicht, dass du noch ein Kind allein aufziehen musst.«
»Ist schon gut. Das macht doch nichts.«
Aber das stimmte nicht. Es machte sehr viel.
Sie hob den Kopf von den Knien. Das Geräusch tropfenden Wassers hatte sie geweckt. Wenigstens zitterte sie nicht so sehr. Sie wollte glauben, dass das ein gutes Zeichen war. Ihr Körper aber wusste es besser. Ihr Atem ging keuchend. Ihre Gelenke schmerzten. Ihr Kopf fühlte sich an wie ein Ballon aus Blei, schwer und hohl. Es wäre so leicht, ihr Gesicht wieder zwischen die Knie zu legen und sich in den Schlaf zu flüchten. Sie musste nicht einmal die Augen schließen. Es war so dunkel …
Regina riss den Kopf wieder hoch und fluchte. Höchste Zeit aufzustehen. In Bewegung zu kommen.
Sie hörte, wie aus dem Tropfen ein Gurgeln wurde, das zu einem Rauschen anschwoll, und spürte ein schwaches, wärmendes Aufflackern von Hoffnung. Das musste der Gezeitenwechsel sein. Es wurde Zeit, erneut den Durchbruch zu versuchen.
So kalt. Sie zwang ihren Körper, die gekrümmte Haltung aufzugeben. Er zitterte protestierend. Unter Schmerzen stand sie auf und biss sich bei den Messerstichen der zurückkehrenden Blutzirkulation auf die Lippen. Sie konnte ihre Füße nicht sehen, ihre Zehen nicht spüren. Sie schlurfte vorwärts, eine Hand an der Wand.
Platsch.
Sie erstarrte, fassungslos, während sich ihr schwerfällig arbeitender Verstand noch gegen die Botschaft wehrte, die ihre Füße aussandten. Sie hatte bereits das Wasser erreicht. Sie stand in der Strömung. Die Gezeiten hatten gewechselt.
Und das Wasser stieg.
[home]
9
D ie Flut kam. Dylan stand auf der Landspitze, wo die Felsen steil in die tosende Gischt abfielen. Unter ihm war eine Reihe dunkler Fichten zu sehen und dann der Strand, wo sich weißes Wasser an schwarzem Fels brach. Und dahinter der Ozean, der so fern glitzerte wie der Horizont. Die weiß bekrönten Wogen eilten vor dem Wind dahin wie die Pferde von Llyr.
Der Wind dröhnte in Dylans Ohren. Zweifel nagte an seinem Herzen.
Er war von niemandem ausersehen worden, den Mächten der Hölle die Stirn zu bieten. Er hätte einen Wächter herbeirufen, um Anweisungen ersuchen, einen Rat erbitten sollen.
Vorausgesetzt, dass Conn es hören und antworten würde.
Vorausgesetzt, dass Hilfe rechtzeitig eintreffen würde.
Lachend zerrte der Wind an Dylans Kleidung und Haar. Die Wellen tobten wie sein Herz.
Er brauchte das nicht. Er wollte sie nicht. Er hatte mit eigenen Augen mit angesehen, wie die Ehe seiner Eltern gescheitert war, hatte das wirre Netz aus Liebe und Besessenheit und Groll kennengelernt, das seine Mutter der See entrissen hatte. Er würde niemals einer Frau diese Macht über sich geben.
Das hieß nicht, dass er seine eigene Macht nicht dazu benutzen konnte, Regina zu finden. Zu retten.
In kleiner Magie war er immer geschickt gewesen. Er konnte über eine Welle gebieten, eine Frau, eine Brise. Aus Bequemlichkeit, aus Spaß, aus Gehässigkeit. Aber noch nie zuvor hatte etwas Wichtiges, jemand Wichtiges von seinen Fähigkeiten abgehangen.
»Versuch erst mal, eine Zeit lang für jemand anderen außer dir Verantwortung zu tragen, und dann reden wir weiter.«
In der Tat.
Das Kreuz lag in seiner Hand. Als er die Arme ausbreitete, gegen den Wind, stellte er ärgerlich fest, dass seine Hände zitterten.
Er blickte hinab auf die See. Sie wirkte poliert und pockennarbig wie ein Stück gehämmertes Silber. Das Wasser der Ozeane strömte durch ihn, das Blut seiner Mutter, das Geschenk seiner Mutter. Die Magie des Ozeans war sein Geburtsrecht.
Er stemmte die Füße fest in den Felsen. Er streckte die Arme noch weiter aus, öffnete seinen Geist und bat die See zu sich.
Eine Kraft erhob sich von der
Weitere Kostenlose Bücher