Fey 02: Das Schattenportal
Worte wissen von alten Geschichten, in denen der Feind Gott und dem Roca tapfere Seelen stiehlt. Dann kämpft der Roca gegen die Soldaten des Feindes. Ich habe mit dem Ältesten Eirman gesprochen, und er sagt, daß einige der alten Geschichten aus unterschiedlichen Gegenden davon berichten, daß der Feind eine Unterwelt einrichtet und diese Seelen dort gefangenhält. Andere Geschichten wollen wissen, daß der Feind diese Seelen tötet, wieder andere behaupten, der Feind nehme den Seelen das Leben, damit sie nicht wieder in der Gestalt von Kindern auf die Blaue Insel zurückkehren können. Keine dieser Geschichten findet sich in den Worten wieder.«
»Haltet Ihr die Fey für diesen Feind?«
Der Rocaan schüttelte den Kopf. »Nein, ganz so einfach bin ich auch nicht gestrickt. Aber ich glaube, daß sie Soldaten des Feindes sind, so wie es auch in der Vergangenheit Soldaten des Feindes gegeben hat.«
»Diejenigen, die in den Worten erwähnt sind«, sagte Matthias. Die Temperatur wurde allmählich erträglich, er fühlte sich wieder wohler.
»Ich glaube, daß es noch andere gegeben hat. Einige können wir erkennen, andere nicht. Auch beim Bauernaufstand mußten Soldaten des Feindes beteiligt gewesen sein«, sagte der Rocaan, »nur hat die Kirche sie nicht erkannt, und der Rocaan hat nicht richtig reagiert.«
»Darüber haben wir uns schon einmal gestritten«, erwiderte Matthias. »Soweit ich weiß, hat es zu nichts geführt.«
»Nein«, entgegnete der Rocaan. »Dieses eine Mal habe ich die Nachforschungen angestellt, nicht Ihr. Und der Schluß, zu dem ich gekommen bin, lautet folgendermaßen: Der Roca hat uns die Mittel gegeben, mit denen wir die Feinde ein ums andere Mal besiegen können. Das Ritual, das wir jeden Tag durchführen, hat damals seinem Volk das Leben gerettet.«
»Das können wir nicht wissen«, gab Matthias zu bedenken. »Es gibt keine stichhaltigen Beweise dafür.«
»Doch. Es gibt einen Beweis«, widersprach ihm der Rocaan. »Und es ist der offensichtlichste Beweis überhaupt.«
Matthias unterdrückte einen Seufzer. Er konnte diese Spielchen nicht ausstehen.
Der Rocaan wartete jedoch nicht auf Matthias’ Frage. »Wir sind hier. Die Religion ist hier. Und die Blaue Insel obliegt unserer Herrschaft. Hätten die Soldaten des Feindes gesiegt, würde unser Gottesdienst völlig anders verlaufen.«
Matthias spürte einen Stich im Magen. Der Rocaan hatte recht. Es war so sonnenklar, daß alle es bisher übersehen hatten. Selbstverständlich hatten sie gewonnen. Deshalb verehrten sie auch den Roca.
Was Matthias nicht behagte, war die Richtung, in die die Unterhaltung führte.
»Ihr wollt Euch also mit den Anführern der Fey in der kleinen Kapelle in der Nähe des Blumenflusses treffen, um dort die Zeremonie noch einmal aufzuführen?«
Der Rocaan nickte. »Das wird sie besiegen.«
»Und wenn nicht?«
»Habt Vertrauen, Matthias.«
Matthias schüttelte den Kopf. »Es ist nicht meine Aufgabe, Vertrauen zu haben. Meine Pflicht besteht vielmehr darin, Fragen zu stellen. Und ich stelle diesen Plan in Frage. Was geschieht, wenn wir verlieren?«
»Dann sterben wir«, antwortete der Rocaan.
»Und das Geheimnis des Weihwassers mit uns. Das ist nicht sehr klug, Heiliger Herr. Mit dem Weihwasser kann sich unser Volk zumindest verteidigen.«
Der Rocaan warf ihm einen Blick von der Seite zu. »Ich sagte nicht, daß wir beide hingehen. Ich nehme nur die tiefgläubigsten Männer mit, Matthias.«
Matthias saß da wie geohrfeigt. Er verschränkte die Hände im Schoß. »Wenn Ihr sterbt, muß ich Rocaan werden. Ich bin der einzige, der das Geheimnis kennt.«
»Das des Weihwassers. Es gibt noch andere Geheimnisse, Matthias. Ich würde meinen Nachfolger sorgfältig einweisen.«
Matthias fühlte Enttäuschung in sich aufsteigen und errötete. Er trachtete nicht nach dem Stuhl des Rocaan, aber offensichtlich rechnete er insgeheim doch damit. »Wen Ihr auch dafür bestimmt – er dürfte nicht mitkommen.«
»Das weiß ich«, sagte der Rocaan. »Deshalb wähle ich Euch. Ihr habt keinen rechten Glauben, trotzdem geleitet Euch der Heiligste, und das ist mindestens ebensoviel wert.«
Matthias erstarrte. »Woher wollt Ihr das wissen?«
»Der Heiligste wies auf Euch, indem er Euch das Wissen um die verborgene Macht des Weihwassers gab. Und dann habt Ihr mich dazu gezwungen, diese Macht einzusetzen. Manchmal sind Glauben und Vertrauen nicht genug. Manchmal erstirbt das Vertrauen. Aber die Anleitung durch den
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