Fey 02: Das Schattenportal
Rocaan aufgetragen hatte. Titus erkannte ihn von der Beschreibung der Bäume und des Kreises her. Die Lichtung kam ihm unwirklich vor, und ein Gefühl beschlich ihn, das ihn daran erinnerte, wie er den Tabernakel zum ersten Mal betreten hatte. Als handelte es sich hier um einen heiligen Ort, den er unbefugterweise betrat.
Das aber war unmöglich. Die Fey waren Heiden, gottlos und unrein. Einige der Auds hielten die Fey sogar für kleine Dämonen, die ein neidischer Rivale ausgesandt hatte, um die Anhänger des Rocaan zu vernichten. Titus war keine Stelle aus den Worten bekannt, die eine solche Theorie untermauerte, doch zum ersten Mal, seit er sie vernommen hatte, regte sich kein innerer Widerspruch. Hier war eine Macht anwesend, eine Macht, die so groß war, daß sie ihn erschauern ließ.
Dann gingen die Lichter aus, und ein Schatten bewegte sich über den Himmel. Er spürte eine Veränderung im Wind, als hätte jemand alle Fenster und Türen rings um den Kreis geschlossen. Die Luft stand still. Mit zitternder Hand griff er hinter sich, und seine Finger trafen auf eine unsichtbare Barriere, die sich wie eine Glaskuppel über dem Kreis erhob.
Er konnte nicht mehr hinaus. Er befand sich in einem Gefängnis der Fey, und sein Weihwasser lag draußen. Er saß in der Falle. Er schluckte die aufkommende Panik hinunter – denn Panik paßte nicht zu einem Streiter Gottes – und richtete sich auf. Zumindest war dies der erste Ort seit Tagen, an dem es warm war.
Vor ihm öffnete sich eine Tür. Die Tür hing ein Stück über dem Boden, und sie war rund. Er brauchte einen Augenblick, bis er erkannte, daß der Umriß der Tür von den Lichtern gebildet wurde, die er eben erst hier gesehen hatte. Dahinter erblickte er eine graue, wallende Masse und jenseits davon einige Gebäude. Direkt neben der Tür stand ein Fey, hinter den sich andere drängten. Dieser Fey war schlank und nur ein paar Jahre älter als Titus, doch sein Gesicht war von einer Wildheit gezeichnet, die zugleich schön und schrecklich anzusehen war.
»Tel?« fragte der Fey in seiner kehligen Stimme.
Titus schien sich eine Ewigkeit nicht zu bewegen. Tel? Was sollte das bedeuten? Er öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Sein Atem kam in kleinen Stößen daraus hervor. Schließlich gelang es ihm, auf Nye hervorzubringen: »Ich komme vom Rocaan. Ich habe eine Botschaft.«
Der Fey neben der Tür sah wie betäubt aus. Dann warf er jemandem neben der Tür, den Titus nicht sehen konnte, einen Blick zu. Sie unterhielten sich einen Augenblick in dieser fremden Sprache, dann schloß sich die Tür wieder.
Nach dem vielen Licht kam ihm die Dunkelheit abgrundtief vor. Titus machte einen Schritt zurück, doch die unsichtbare Barriere hielt ihn immer noch gefangen. Er konnte nicht hinaus, er konnte nichts sehen, und die Fey wußten, daß er da war.
Seine Unterlippe fing zu zittern an. Er biß darauf. Dann brannten seine Augen. Er konnte doch nicht vor ihnen zu weinen anfangen. Seit er vor zwei Jahren Aud geworden war, hatte er nur noch geweint. Jeden Abend schluchzte er leise in seinem Bett und wünschte sich nach Hause zurück.
Jetzt wünschte er sich mehr denn je nach Hause, aber das ging nicht. Vielleicht sah er sein Elternhaus nie wieder.
Wenigstens war es warm, seine Füße waren warm. Etwas Positives. Konzentriere dich auf etwas Positives. Aber auch das half nichts. Er hatte mehr Angst als je zuvor in seinem Leben, mehr Angst als damals, als die Daniten gekommen waren, um ihn abzuholen. Mehr Angst als an dem Tag, an dem er zum ersten Mal Jahn erblickt hatte.
Er verschränkte die Arme über der Brust, krallte die Finger in sein dünnes Gewand und unterdrückte den Drang zu beten. Die Daniten sagten, für sich selbst zu beten erzürnte Gott bloß und daß alle Gebete für andere ausgesprochen werden müßten. Er könnte so tun, als betete er für seinen Vater, daß sein Vater ihn nicht hier in Schande sterben lassen wolle, aber die Wahrheit war, daß sein Vater nie davon erfahren würde. Er würde lediglich die Nachricht erhalten, daß Titus bei seiner Weisung gestorben war, und im Dienste des Herrn zu sterben war schließlich eine edle Sache.
Die Tür ging erneut auf und übergoß ihn mit Licht. Jetzt standen noch mehr Fey an der Tür, und er glaubte sogar, einen Daniten zu sehen, der ihm bekannt vorkam, aber das war unmöglich. Er wich bis zur Barriere zurück. Seine Füße streiften den Erdring. Jetzt stand ein älterer Fey in der Tür, mit einem
Weitere Kostenlose Bücher