Fey 02: Das Schattenportal
ausgestattet. Der Boden war aus Stein, und neben der Tür waren Fackelhalterungen an den Wänden befestigt. Monte zündete mit seiner Fackel die anderen an.
Das zusätzliche Licht enthüllte ein weiteres Gebilde. Ein rechteckiger Bereich des Raums war mit einem Gitter abgetrennt, und in diesem Gitter befand sich eine weitere Tür mit einem Schloß. Dahinter waren ein Strohhaufen sowie Essen und Wasser zu sehen. Es roch leicht nach Urin, da der Raum jedoch recht groß war, hielt sich der Geruch im Vergleich zum Korridor in erträglichen Grenzen.
Hinter dem Gitter, die Hände um die Stäbe gelegt, stand ein kleiner Mann und betrachtete seine Besucher. Alexander staunte über die geringe Größe des Mannes. Er hatte gedacht, alle Fey seien groß und dünn. Keinesfalls hätte er jemanden erwartet, der kleiner als er selbst und obendrein viel schwerer war, obwohl ihm auffiel, daß der kleine Mann eher untersetzt und kräftig als dick war.
»Ich kann mich an diesen Raum gar nicht erinnern«, sagte Alexander.
»Ich glaube, es ist der allererste Raum, der im Verlies gebaut wurde.« Monte lächelte und steckte seine Fackel in eine Halterung. Sämtliche Fackelhalter befanden sich außerhalb der Reichweite des Gefangenen.
Alexander wandte sich an den kleinen Mann und fragte ihn in der Sprache der Inselbewohner: »Wie heißt du?«
Der kleine Mann antwortete mit einem kehlig ausgesprochenen Wort, das Alexander nicht recht verstand. Das war ein gutes Zeichen. Der kleine Mann versuchte nicht zu verbergen, daß er die Sprache beherrschte.
Dann lächelte der kleine Mann. »Die Übersetzung auf Nye bedeutet soviel wie ›Fledderer‹.«
Alexander zeigte ihm, wie man ›Fledderer‹ in der Inselsprache aussprach, und der kleine Mann übte es einige Male, wobei er sich am Klang der Silben erfreute. Alexander stellte sich ein Stück weiter als Armeslänge vor das Gitter und musterte den kleinen Mann.
Er hatte den gleichen hochnäsigen Ausdruck im Gesicht wie die Frau damals, nur sah es bei ihm aus, als hätte ihm jemand seine Züge allzu hastig aufgemalt. Seine Augenbrauen waren dunkel und klebten ihm wie Flügel an der Stirn, ein typisches Merkmal der Fey. Die schwarzen Augen funkelten vor Intelligenz, und seine Wangenknochen waren so hoch angesetzt, daß seine Wangen fast hohl wirkten. Seine Haut war blasser, als es Alexander jemals bei einem Fey gesehen hatte, und seine Kleidung war mit dunklen Flecken übersät. Er strömte einen Geruch aus, der entfernt an den Tod erinnerte.
Alexander verschränkte die Hände auf dem Rücken. »Monte hat mir gesagt, deine eigenen Leute hätten versucht, dich umzubringen. Er sagt, du suchst Schutz bei uns, im Gegenzug lieferst du uns Informationen. Das kommt mir wie ein perfekt ausgeklügelter Plan vor, um uns dazu zu bringen, einem von euch zu vertrauen, damit er uns dann alle hintergeht.«
Der kleine Mann, Fledderer, hörte zu grinsen auf. Er schob sich so dicht an das Gitter wie möglich und starrte Alexander an. »Wer seid Ihr?« fragte er. »Bestimmt eine wichtige Persönlichkeit. Die Männer um Euch herum benehmen sich so, als wäret Ihr alles Land der Welt wert.«
Alexander hatte nicht vor, sich zu erkennen zu geben. »Ich bin der letzte, mit dem du dich unterhalten wirst. Anschließend beratschlagen wir darüber, was wir mit dir anfangen.«
Fledderer seufzte. »Einmal machtlos, immer machtlos«, murmelte er und lehnte die Stirn an die Stäbe. »Hört zu, ich bin ehrlich zu Euch. Die Lage kann nicht schlimmer werden, als sie jetzt ohnehin schon ist. Ich kann nicht mehr zu meinem Volk zurück, und Eure Gastfreundlichkeit läßt ebenfalls einiges zu wünschen übrig.« Er sah auf, und seine dunklen Augen funkelten im Licht. »Meine Leute sind nicht darauf angewiesen, daß jemand wie ich für sie spionieren geht. Dafür haben wir Doppelgänger.«
Er sprach das Wort so aus, als müsse Alexander wissen, was es bedeutete. Es würde ein langer Nachmittag werden. »Doppelgänger?«
»Fey, die sich in einen von euch verwandeln können. Im Palastbereich gab es drei von ihnen, jedenfalls soweit ich weiß.«
Alexanders Mund wurde trocken. Er erinnerte sich an den Ausdruck des Entsetzens in Stephans Gesicht und an Nicholas’ Stimme: Das ist nicht Stephan. Wenn er Stephan wäre, brauchte er keine Angst vor dem Weihwasser zu haben.
Alexander schwieg, und der kleine Mann lächelte wieder. »Aah, wie ich sehe, habt Ihr einen von ihnen bereits kennengelernt.« Sein Lächeln wurde breiter.
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