Fey 03: Der Thron der Seherin
aufgerissen. »Was hast du getan«, fragte der Fey mit schwerem Akzent auf Nye.
Die Worte verblüfften Matthias. Er fragte sich, ob der Mann versuchte, ihn hereinzulegen, ob er auch schon andere auf diese Weise getäuscht hatte. Er schleuderte das Wasser aus der Flasche, und es landete auf den perfekt geformten Gesichtszügen des Fey. Der Mann schrie, bis seine Lippen über der Mundöffnung zusammenschmolzen. Matthias stand wie angewurzelt, Tränen in den Augen, und beobachtete das Ding … diesen Mann, der wild um sich schlug, als auch das Fleisch über seinen Nasenlöchern schmolz und er keine Luft mehr bekam.
Die anderen Fey jammerten noch immer, ohne auf den Tod ihres Anführers zu achten. Aber für Matthias schien die Zeit stillzustehen, während er beobachtete, wie der Anführer mit verformten Händen an seinem entstellten Gesicht riß. Endlich, nach Stunden, wie es schien, rührte sich der Körper nicht mehr.
Dieses Bild war es, das Bild des Sterbenden, das Matthias seitdem verfolgte. Die anderen Toten konnte er vor seinem Gewissen rechtfertigen: Sie hatten ihn zuerst angegriffen. Er war gezwungen gewesen, sich zu verteidigen. Aber als er ihren Anführer mit Wasser übergoß, hatte Matthias ein Experiment durchgeführt. Um seine eigene Neugier zu stillen, hatte er ein Leben vernichtet.
Manchmal dachte Matthias, er sei durch diese Tat zu einem der Ihren geworden. Zu einem Fey.
Dämonenbrut.
Er schüttelte den Kopf, als könnte er so die Gedanken loswerden. Er mußte aufhören, sich selbst zu quälen. Was geschehen war, war nun einmal geschehen. Indem er die verborgenen Kräfte des Weihwassers entdeckt hatte, hatte er Hunderten von Inselbewohnern das Leben gerettet. Vielleicht war das sogar die Absicht des Roca selbst gewesen.
Ein Wachsoldat, nicht älter als fünfzehn, stand vor dem Eingang zum Festsaal. Er verneigte sich und sagte: »Man erwartet Euch bereits, Heiliger Herr.«
Natürlich warteten sie. Die Lords wohnten in der Nähe des Palastes und konnten schnell zur Stelle sein. Um Matthias zu holen, mußte erst ein reitender Bote geschickt werden. Und dann mußte Matthias sich beeilen, sein eigenes Pferd zu satteln. Natürlich war er der letzte.
»Dann öffne die Tür, mein Junge«, bat Matthias. Es kam ihm immer noch komisch vor, diese Verniedlichungsform zu benutzen. Er war zwar alt genug, um der Vater des Jungen zu sein, aber der vorige Rocaan war ein gebeugter, zusammengeschrumpfter Greis gewesen, dem es besser angestanden hatte, einen kräftigen jungen Burschen ›Kind‹ zu nennen.
Der Wachtposten nahm Haltung an. Wie die meisten Inselbewohner reichte er Matthias nur bis zur Schulter. Bis zur Ankunft der Fey hatte Matthias niemanden gekannt, der größer war als er selbst. Nur sein Eintritt in den Rocaanismus im Alter von zwölf Jahren hatte ihn vor dem Schimpfnamen ›Dämonenbrut‹ bewahrt. Jetzt öffnete die Wache die Tür, und Matthias trat ein.
Nicholas stand am anderen Ende des Festsaals, die Arme über der Brust gekreuzt, die Augen ausdruckslos und tief in die Höhlen eingesunken. Jewel stand neben ihm. Als sie Matthias erblickte, legte sie schützend eine Hand auf den Bauch. Sie mochte ihn ebensowenig, wie sie ihm vertraute.
In die Mitte des Raumes hatte man einen Tisch gestellt, an dem die Lords Canter, Egan und Fesler Platz genommen hatten. Die Lords Holbrook und Miller standen an die Wand gelehnt, Lord Enford saß allein neben dem Kopfende der Tafel.
Enford. Matthias starrte ihn einen Augenblick verblüfft an. Enford war über und über mit Schmutz bedeckt. Nur sein Gesicht und seine Hände waren sauber. Seine Kleidung war zerrissen und sein Haar unordentlich zum Pferdeschwanz gebunden. Enford sollte doch Alexander begleiten. Matthias lief es eiskalt den Rücken herunter. Er warf Jewel einen Seitenblick zu. Mit einem Schlag war ihm der Anlaß dieser Versammlung klar.
Dem König mußte etwas zugestoßen sein.
Als die Tür hinter ihm geschlossen wurde, zuckte er zusammen. Niemand begrüßte ihn. Das war ungewöhnlich, denn sie alle wußten, daß er einer der mächtigsten Männer der Insel war. Aber alle waren ernst und stumm.
Der schwere Holztisch, der eigentlich nicht in den Festsaal gehörte, besaß verschnörkelte Beine und eine mit tiefen Schnitzereien verzierte Oberfläche. Die Stühle mit ihren hohen, steilen Lehnen und Armstützen sowie den runden Knäufen am Ende paßten dazu; offensichtlich dienten sie nicht der Bequemlichkeit, sondern dem Ausdruck von Prunk.
Auch
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