Fey 03: Der Thron der Seherin
einzigen Pfeil mitten ins Herz getroffen. Sonst wurde niemand verletzt. Der Mörder hat die Vorhut und den Daniten, die den König schützen sollten, abgewartet. Sein Schuß erfolgte lautlos und gezielt. Niemand von uns hat etwas bemerkt, bevor der König vom Pferd fiel.«
Dieser Ausdruck klang so steif und beiläufig, als sprächen sie über ein Tier statt über einen Menschen, den sie alle gut gekannt hatten.
»Wer hat ihn getötet?« fragte Miller.
»Das wissen wir nicht«, erwiderte Enford. »Monte und Lord Stowe sind noch draußen und hoffen, etwas herauszufinden.«
»Was gibt es da noch herauszufinden?« mischte sich Holbrook ein. »Habt Ihr einen Pfeil, so habt Ihr auch einen Bogenschützen dazu. Bogenschützen arbeiten aus einer bestimmten Entfernung. In den Sümpfen gibt es nur wenig geeignete Verstecke. Hättet Ihr die Gegend sofort durchsucht, hättet Ihr Euren Mörder längst gefunden.«
»Dort stehen viele Bäume«, erwiderte Enford. »Wir haben die Wachen sofort ausschwärmen lassen.«
»Aber das Ganze hat sich in einem Sumpfgebiet abgespielt, nicht wahr?« erkundigte sich Jewel. »Hätte sich nicht jemand im Wasser verstecken können?«
»Wir haben die ganze Umgebung abgesucht. Sie hätten nicht fliehen können, ohne daß wir sie gesehen hätten.«
»Aber genau das haben sie getan.« Feslers Stimme war leise, aber anklagend. »Wer gehörte noch zu Eurer Truppe, Enford?«
»Außer Lord Stowe und mir selbst nur Wachsoldaten und ein Danite. Und Monte natürlich.«
»Natürlich«, sagte Fesler. »Alle absolut vertrauenswürdig. Wie Stephen.«
Stephen. Matthias ließ sich schwer in den Stuhl zurückfallen, obwohl das Holz der Armstützen in seine Unterarme drückte. Stephen war Nicholas’ Waffenmeister gewesen. Ein Fey-Doppelgänger hatte seine Persönlichkeit übernommen, Nicholas um ein Haar getötet und sich Zugang zum König verschafft.
»Wir haben einen Pakt geschlossen«, sagte Jewel bestimmt.
»Und die Fey sind ja dafür bekannt, daß sie ihre Verträge einhalten«, ergänzte Matthias.
Jewel blickte ihn mißtrauisch über den Tisch hinweg an. »Ich war nicht in dieser Kirche, als Euer Rocaan getötet wurde.«
»Nein«, stimmte Matthias zu. »Aber Ihr habt davon gewußt.«
»Auch ich halte meine Zusagen ein.«
»So gut es eine Fey eben kann.«
Nicholas drehte sich um. »Laßt sie in Ruhe, Matthias. Sie hat den Vertrag seit unserem Friedensschluß stets eingehalten.«
Alle im Zimmer wandten sich jetzt um und blickten auf Nicholas; auf sämtlichen Gesichtern war die Überraschung abzulesen. Aber Nicholas schien die Kränkung gar nicht zu bemerken. Nie zuvor hatte er es versäumt, Matthias mit seinem Titel anzusprechen. Aber Matthias mußte es hinnehmen. Nicholas war jetzt der König.
»Ich glaube eher, daß ein Fey den König getötet hat als jemand aus seiner Entourage«, sagte Canter in dem offensichtlichen Versuch, die bedrückende Stille zu durchbrechen. Er neigte kurz den Kopf vor Jewel. »Mit Eurer Erlaubnis, Herrin. Aber irgend jemand muß die Tat ja begangen haben.«
Sie nickte ihm zu. »Es wäre zu unser aller Vorteil, wenn wir den Mörder so schnell wie möglich fänden.«
»Als könntet Ihr uns da nicht weiterhelfen, Herrin«, bemerkte Matthias.
Jewel hob den Kopf. Ihr Blick ließ sie fast so groß erscheinen wie Matthias selbst und verlieh ihr ein majestätisches Aussehen, mit dem sich niemand auf der Insel messen konnte. »Wollt Ihr damit sagen, daß ich den Vater meines Gemahls getötet habe?«
»Ich will nur sagen, daß Ihr von dem Anschlag gewußt habt, so wie vom Tod des Fünfzigsten Rocaan.«
»Und woher sollte ich dieses Wissen haben?«
»Vertraut Euer Volk Euch nicht länger, Herrin? Müßtet Ihr nicht alles wissen, was bei den Fey vor sich geht?«
»Heiliger Herr«, unterbrach ihn Holbrook leise. »Wir haben keine Beweise, wer den Anschlag begangen hat.«
»Es ist in den Sümpfen passiert«, fügte Egan hinzu. »Dort gibt es keine Fey.«
»Und Fey bedienen sich anderer Waffen«, fügte Miller hinzu. »Sie benutzen nicht Pfeil und Bogen.«
»Aber sie verschwinden rasch und spurlos, nicht wahr, Herrin?«
»Ja, das stimmt«, sagte Jewel. Sie machte einen Schritt auf Matthias zu, aber Nicholas packte sie am Arm. Sie schüttelte seine Hand ab, blieb aber, wo sie war. »Aber wenn wir den Tod Eures Königs wirklich gewollt hätten, hätten wir ein Dutzend bessere Methoden zur Verfügung gehabt. Ich hätte ihm viele Male im Schlaf die Kehle aufschlitzen
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