Fey 03: Der Thron der Seherin
einzige Wetterkoboldin, die das Schattenland verlassen hatte. Sie trug einen unbehandelten Umhang und hatte die Kapuze abgesetzt. Wasser lief ihr über das Gesicht. Ihre Haut war von den Elementen so gegerbt, daß sie viermal so alt aussah, als sie war. Sie hatte das Schattenland nicht verlassen, weil sie an Burdens Ziele glaubte, sondern weil sie das ewige Grau haßte. »Jewel ist da. Sie will dich sehen.«
»Ihre Hoheit wollen sich vergewissern, wie gut das kleine Experiment funktioniert?« Burden wischte sich die schlammigen Hände an der schmutzigen Hose ab. Natürlich mußte sie gerade jetzt kommen, wo er so aussah. Nicht, daß das eine Rolle spielte. Er hatte in Jewels Leben nie wirklich eine Rolle gespielt, wie er erst spät erkannt hatte. Ihre lange Freundschaft, ihre gemeinsamen Erfahrungen in der Infanterie, all das bedeutete nichts im Vergleich zu ihrem Verlangen nach diesem Inselbewohner.
Daß er Jewels Beweggründe verstand, minderte Burdens Verbitterung nicht. Wenn Jewel sich schon an jemanden binden mußte, der ihr an Fähigkeiten unterlegen war, hätte sie einen Fey wählen sollen.
Ihn.
Hanouk ignorierte Burdens Sarkasmus. »Sie ist in meiner Hütte. Sie soll sich den Elementen nicht aussetzen.«
»Das finde ich auch. Besonders jetzt, wo die Enkelin des Schwarzen Königs Königin der Blauen Insel ist.«
Mühsam arbeitete er sich aus dem Schlamm heraus.
Hanouk wartete, bis Burden neben ihr stand. »Jewel ist schwanger. Wir wollen doch nicht, daß sie ausgerechnet hier ein gemischtes Baby zur Welt bringt.« Damit wandte sie sich ab und ging zurück auf den Weg, ohne daß ihre Füße dabei in den Schlamm einsanken. Burden beneidete die Wetterkobolde um ihre unheimliche Begabung, die Elemente zu beherrschen.
Beim Gedanken an Jewels Schwangerschaft schüttelte er sich. Mit dem ersten Kind hatte er sich abgefunden; eine Verpflichtung, die Jewel erfüllen mußte. Burden war selbst dabeigewesen, als Jewel den Pakt mit den Inselbewohnern geschlossen hatte. Aber ein zweites Kind nach so langer Ehe … das war keine Verpflichtung mehr.
Ihn fröstelte. Jewels Verrat war für ihn immer noch so schmerzlich wie am ersten Tag.
Er trottete durch den zähen Schlamm bis zum Weg. Auch die Steine waren verschmiert, aber immerhin verhinderten sie, daß man versank. Die Inselbewohner waren schlau. Als sie diesen Teil Jahns für die Siedlung der Fey bestimmten, wußten sie genau, daß es sich um Ufergebiet handelte. Jeden Frühling wurde das Stück Land überflutet. Am Anfang hatte Burden noch behauptet, dieser Umstand spiele keine Rolle; die Fey könnten mit jedem Problem fertig werden. Das war zwar richtig, aber was er nicht vorausgesehen hatte – oder wofür es ihm an Visionärer Kraft mangelte –, war die Tatsache, daß die meisten mit Zauberkräften begabten Fey bei Rugar im Schattenland bleiben würden. Nach Jahn zogen die Jungen, die Aufmüpfigen und die Unterschätzten.
Burden hatte so wenig Hilfe, und er war sehr, sehr müde.
Die Siedlung umfaßte fünfzig Häuser. Sie lagen entlang eines Wegenetzes verstreut, das weniger einer bewußten Logik als den Anhöhen und Senken des Bodens folgte. Einer der Vorteile, sich außerhalb des Schattenlandes zu befinden, bestand darin, daß man genug Platz und Baumaterial zur Verfügung hatte.
Aber die Überschwemmungen hatten die meisten Hütten wieder zerstört. Während des vergangenen, schier endlosen Winters hatte Burden sich des Gefühls nicht erwehren können, daß es nun einmal das Schicksal der Fey war, umgeben von Grau zu leben. Der einzige Unterschied zwischen der Siedlung und dem Schattenland war, daß das Grau hier mit Regen durchtränkt war. Schließlich hatte Burden Hanouk gebeten, den Regen und die Überschwemmungen einzudämmen, aber sie hatte ihm bloß einen vernichtenden Blick zugeworfen. Seine Position erlaubte ihm nicht, sie darum zu bitten, und Hanouk vergaß das nie.
Während Burden über die Steine balancierte, konnte er über die Mauern ins Zentrum von Jahn blicken. Kurz nachdem die Fey ihre Siedlung errichtet hatten, waren die Mauern hochgezogen worden, ein weiteres gemeinsames Projekt von Fey und Inselbewohnern. Aber anders als die Barke, auf der Jewel und Nicholas ihre Hochzeitsfeier abgehalten hatten, waren diese Mauern eine geheime Konstruktion. Burden hatte nie herausgefunden, wer eigentlich mit den Bauarbeiten begonnen hatte, aber als er eines Morgens erwachte, sah er, daß die Mauer auf einer Seite des Tors erhöht worden war.
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