Fey 03: Der Thron der Seherin
Während der folgenden Nächte schritten die Arbeiten voran, und ein paar Fey gaben zu, sich am Bau des Tors beteiligt zu haben. Aber sie behaupteten, nicht damit angefangen zu haben. Burden selbst glaubte, daß die Inselbewohner mit dem Tor in der Hoffnung begonnen hatten, daß die Fey es vollenden würden. Und sie hatten recht behalten.
Darauf bedacht, sich nicht noch schmutziger zu machen, wischte Burden sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Zu Hanouks Hütte ging es geradeaus. Ihre Wände waren die einzigen, denen das Wetter nichts anhaben konnte, was in Burdens Augen eine Ironie des Schicksals war. Sich selbst pflegte Hanouk zu helfen, nicht aber ihren Nachbarn.
Da Hanouks Rang höher als der der meisten anderen Fey in der Siedlung war, bewohnte sie auch eine größere Hütte. Wo die Glücklichsten der anderen zwei Räume bewohnten, standen ihr vier zur Verfügung. Das Holz der Außenwände zeigte noch sein natürliches helles Braun. Das ganze Gebäude wirkte wie gerade eben erbaut, nur die Pfützen auf dem Vorplatz erinnerten an die heftigen Regenfälle.
Die Tür stand offen. Bevor Burden die breiten Steinplatten betrat, die Hanouk als Stufen dienten, holte er tief Luft. Es war lange her, seit er zum letzten Mal mit Jewel allein gewesen war. Nach ihrer Heirat hatte er immer nur kurz mit ihr gesprochen, und sie war sehr zurückhaltend gewesen, ganz anders als die Jewel früherer Zeiten. Jene Jewel, mit der Burden aufgewachsen war, hatte sich bereitwillig in jedes Abenteuer gestürzt, eine würdige Erbin des Schwarzen Königs. Jetzt war sie ein Inselweib geworden und gab sich damit zufrieden, in leisem, bewunderndem Ton von ihrem Ehemann zu sprechen.
Als sie ihr seltsames Kind zu den Heilern brachte, hatte er sie wiedergesehen. Er hatte den Jungen nicht einmal ansehen wollen, aber er hatte Gerüchte gehört, daß das Kind nicht normal war. Seine Weigerung hatte Jewel damals gekränkt, aber das wog gering im Vergleich dazu, wie tief sie ihn verletzt hatte.
Danach hatte Burden mit Jewel nur noch indirekt durch die Fey verhandelt, die sie in den Palast der Inselleute eingeschleust hatte, und auch das nur selten. Daß sie jetzt gekommen war, um ihn zu sprechen, brachte ihn völlig durcheinander.
Als er die Stufen langsam erklomm, rutschten seine unbehandelten Stiefel auf dem Stein. Bevor er über die Schwelle trat, klopfte er an, und in der Hütte rührte sich jemand. Hanouk war noch nicht zurück. Im nächsten Augenblick würde Jewel vor ihm stehen.
Er wollte sich auf keinen Fall die Kontrolle über diese Zusammenkunft aus der Hand nehmen lassen. Er trat ein und blinzelte in die Dunkelheit. Bevor sie ging, hatte Hanouk Feuer gemacht, aber es war heruntergebrannt, und neben dem Kamin lag kein Holz mehr. Ein kleiner Tisch stand vor einem riesigen Sessel – offensichtlich Hanouks Lieblingsplatz –, und die Wände waren mit Stoff verkleidet. Aber Burden nahm sich nicht die Zeit, die Dekorationen genauer zu betrachten. Er sah sich suchend um, bis er Jewel erblickte.
Sie stand neben einem der anderen, ebenfalls von Domestiken gepolsterten Stühle. Ihre Hand ruhte auf der Lehne, und ihr Körper wurde davon verdeckt. Trotzdem waren die Spuren ihrer Schwangerschaft nicht zu übersehen. Ihr Gesicht war voller, ihr Haar dunkler. Aber anders als die meisten schwangeren Fey-Frauen war sie nicht strahlend schön. Ihre Züge wirkten erschöpft, ihre Haut seltsam grau.
Plötzlich schoß es Burden durch den Kopf, daß sie ihn vielleicht vermißt hatte. Vielleicht brauchte sie seine Hilfe. Vielleicht hatte sie erkannt, daß sie einen schlechten Handel eingegangen war, und wollte aus dem Palast fliehen.
»Geht es dir gut?« fragte er und legte all die Zuneigung in seine Stimme, die er für sie empfand.
Sie lächelte kaum merklich. »Der letzte Monat ist immer anstrengend«, sagte sie.
Einen Moment lang wußte er nicht, wovon sie sprach. Dann wurde ihm klar, daß sie ihre Schwangerschaft meinte.
»Und es hat eine Menge Schwierigkeiten gegeben.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, eine Bewegung, die ihm so vertraut war, daß es ihm das Herz abdrückte. »Ich muß mit dir sprechen, Burden. Unter alten Freunden.«
»Natürlich«, sagte er und zog die Tür hinter sich ins Schloß.
Das Feuer bildete die einzige Lichtquelle. Aus irgendeinem Grund bevorzugte Hanouk die Sitte des Schattenlandes, keine Fenster in die Häuser einzulassen. Burden zog einen Stuhl ans Feuer. »Willst du dich nicht setzen,
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