Fey 04: Die Nebelfestung
Niche.
Nicholas’ Sohn. Der Gedanke kam ungebeten, aber Niche schien nicht darauf zu reagieren. Vielleicht konnten sie doch nicht Gedanken lesen.
»Ich glaube ihm ja. Aber ich kenne Coulter gut genug. Wenn er sagt, daß er irgendwo hingeht, dann geht er auch dorthin.«
»Wieso können die ihn nicht leiden?« fragte Gabe.
Niche blickte verdutzt zu ihm hinunter. »Wer?«
Gabe sah Adrian an. »Mein Großvater. Mein Großvater und seine Freunde, sie können Coulter nicht leiden.«
Adrian wurde es eiskalt. Die Experimente. Streifer und Rugar hatten keinen Grund mehr, noch länger zu warten. Sie würden sich Coulter bei der nächstbesten Gelegenheit schnappen.
»Weißt du denn, wo Coulter ist?« fragte Adrian.
Der Junge schüttelte den Kopf.
Adrians Blick wechselte zu Niche. »Wenn zwei Leute miteinander Verbunden sind«, sagte er, »können sie einander mittels dieser Verbindung Sehen?«
»Manchmal.« Sie sprach das Wort langsam aus, als würde sie darüber nachdenken.
Adrian ging vor Gabe in die Hocke. »Kannst du Coulter Sehen?«
Gabe blinzelte zu seiner Mutter hinauf, was ihn noch jünger aussehen ließ, als er eigentlich war. Sie nickte ihm zu. Er schloß die Augen. Adrian konnte fast sehen, wie sich der Geist des Jungen suchend über die Schattenlande erstreckte.
»Nein.« Gabes Stimme klang sehr weit entfernt. »Er steckt hinter einer Wand.«
Eine Wand. Adrian warf Niche einen Blick zu, aber sie schien ebenfalls nicht zu verstehen, was damit gemeint war. Eine Wand.
Ich habe sie abgeblockt, hatte Coulter gesagt.
Mit einer Schutzwand?
Adrian schlug die Hände vors Gesicht. Es war bereits zu spät.
10
Die Tür schloß sich hinter Nicholas.
Matthias sank an die Wand und rutschte daran zu Boden. Seine Beine trugen ihn nicht mehr.
Er hatte gedacht, sein letztes Stündlein hätte geschlagen. Er hatte gedacht, Nicholas würde ihn umbringen.
Matthias’ Rücken schmerzte, sein Herz klopfte wie rasend, und er bekam kaum Luft. Außerdem blutete er. Er spürte, wie das Blut über seine Haut rann. Er führte die Hand zum Rücken. Als er sie zurückzog, war sie rot verschmiert.
Dieser verdammte Nicholas. Verdammt seien sie alle!
Kaum war die Tür zugefallen, da ging sie auch schon wieder auf. Zwei Auds kamen herein, die Auds, die er als Wachen aufgestellt hatte.
Jetzt sahen sie ihn in diesem Zustand. So schwach und ängstlich.
»Raus!« rief er. Seine Stimme war immer noch kräftig genug.
»Aber … Heiliger Herr«, sagte einer der Auds, »wir wollten uns nur vergewissern, ob alles mit Euch in Ordnung ist.«
»Mir geht es gut«, sagte er. »Und jetzt raus!«
»Heiliger Herr …«
»Raus mit euch! Das hier ist ein Ort der Andacht. Ich bete gerade. Hinaus!«
Die Auds entfernten sich eilig und schlossen die Tür. Er lehnte den Kopf an die Wand. Ein feiner Geruch von Blut, gemischt mit dem Aroma des Flusses, drang in seine Nase. Blut. Sein Blut.
Er mußte jemanden nach der Wunde sehen lassen.
Nicholas! Dieser arrogante Bursche. Erzählte Matthias einfach, er sei gottesfürchtiger als Matthias.
Keiner von ihnen beiden glaubte an Gott.
Vielleicht lag das Problem gerade darin.
Matthias atmete tief durch. Es war nicht leicht. Seit Nicholas eingedrungen war, hatte er nur ganz flach geatmet. Die Angst hatte ihn beinahe überwältigt.
Schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen hatte er um sein Leben gefürchtet.
Beim zweiten Mal hatte er nicht den Heiligsten um Hilfe gebeten. Er schüttelte den Kopf. Der Fünfzigste Rocaan war kein großer Gelehrter gewesen. Wahrscheinlich hatte er sich nicht mehr an die Geschichten erinnert, die die Kirche gespalten hatten, auch nicht dann, als Matthias sie wieder aufgebracht hatte. Wahrscheinlich hielt er den Unglauben für ein Problem, das Matthias selbst lösen könne.
Aber das konnte er nicht. Wenn überhaupt, so wurden seine Zweifel immer größer.
Es klopfte, und bevor er noch antworten konnte, flog die Tür auf.
Die Aud-Wache stand in Begleitung eines Daniten auf der Schwelle.
Es war der junge Titus, derjenige, der Nicholas hier heruntergeführt hatte.
Titus, der Gläubige. Schon seit vielen Jahren beneidete ihn Matthias um seinen unerschütterlichen Glauben.
»Seht Ihr?« flüsterte der Junge. »Das Blut!«
»Ich habe doch gesagt, du sollst draußen bleiben!« fuhr Matthias den Aud an.
»Verzeiht, Heiliger Herr, aber …«
»Er bat mich, nach Euch zu sehen«, sagte Titus. Er nickte dem Aud zu und zog die Tür bei. »Ihr blutet, Heiliger
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