Fey 04: Die Nebelfestung
wußte nicht, ob es sich um eine Falle handelte. Vielleicht war es eine Falle oder eine Methode, um ihn und Coulter dazu zu bringen, über die abgerutschte Böschung zu eilen und zu Tode zu stürzen.
»Wirklich«, erwiderte die Stimme. »Sie experimentieren an lebendigen Menschen herum und versuchen sie dazu zu überreden, für ihre Zaubersprüche zu sterben. Sie halten jeden, der nicht der Magie fähig ist, für minderwertig, und deshalb macht es ihnen auch nichts aus. Ich finde, es macht sehr wohl etwas aus.«
»Ich habe die Magie«, sagte Coulter kleinlaut. »Trotzdem haben sie an mir herumexperimentiert.«
»Na klar hast du die Magie, mein Junge. Du hast soviel Magie wie ich.«
»Hab ich wirklich«, sagte Coulter. Adrian drückte ihn an der Schulter, um den Jungen zum Schweigen zu bringen. Etwas an dieser Unterhaltung machte ihn mißtrauisch. Wenn der Eigentümer der Stimme über die Hüter Bescheid wußte und Fey sprach, dann mußte Adrian annehmen, daß es sich auch um einen Fey handelte. Allerdings hörte sich die abfällige Meinung gegenüber den Hütern und der eingestandene Mangel an magischen Fähigkeiten eindeutig nicht nach Fey an.
»Das Kind ist ganz schön verkorkst«, sagte die Stimme, jetzt offensichtlich an Adrian gewandt.
»Das würde dir nicht anders ergehen, wärst du bei den Fey aufgewachsen«, erwiderte Adrian.
»Oh, keine Bange, ich verstehe das vollkommen.« Die Stimme kicherte vor sich hin, ein Geräusch, das über den ganzen Fluß trug.
»Schsch«, machte Adrian. »Ich weiß nicht, wie nah sie schon sind.«
»Aber ich«, konterte die Stimme. »Sie haben einen Trupp auf den Hauptweg geschickt und einen anderen zum Blumenfluß. Bis jetzt sind sie noch nicht darauf gekommen, daß du zu schlau bist, um auf der Straße zu reisen, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Wahrscheinlich schicken sie Möwenreiter hinter euch her. Dann merkt ihr nicht einmal, daß man euch entdeckt hat.«
Die Unterhaltung wurde immer seltsamer. Adrian wurde dabei immer mulmiger. Er zog Coulter näher an sich. »Vielen Dank für deine Hilfe«, sagte Adrian schließlich. »Aber wir müssen weiter. Ich hoffe, bis zum Morgengrauen bis Jahn zu kommen.«
»Nicht bei dem Tempo«, sagte die Stimme. »Und bis dahin sind die Reiter unterwegs. Tierreiter, Möwenreiter, dazu ein paar kleine pelzige Reiter, die du nicht einmal siehst. Die spüren euch auf und bringen euch ruck, zuck wieder in den Gewahrsam der Schattenlande.«
»Hört sich an, als wüßtest du gut über die Fey Bescheid«, sagte Adrian.
»Na, bei allen Zauberkräften, für was hältst du mich denn?«
»Neiiiin!« schrie Coulter und drängte sich eng an Adrians Bein. Adrian strauchelte und wäre beinahe vom Uferhang gestürzt. Mit rasendem Herzen hielt er sich an einem tiefhängenden Zweig fest.
»Na schön«, sagte Adrian, »wenn du uns zurückbringen willst, dann tust du es besser jetzt gleich.«
»Euch zurückbringen?« Es raschelte im Unterholz. »Warum sollte ich das denn tun?«
»Bist du nicht deshalb hier? Um deinen Befehl auszuführen und uns zurück ins Schattenland zu bringen?«
»Ich habe schon seit Jahren keinen Befehl mehr ausgeführt.« Es raschelte noch ein wenig im Gestrüpp, und dann tauchte vor ihren Augen ein kleiner Mann auf, nur ein paar Spannen größer als Coulter und auffallend untersetzt. Doch sein Teint war dunkel, und auch seine Gesichtszüge wiesen ihn eindeutig als einen Fey aus. Er sah aus wie ein stümperhaft aus einem Baumstumpf geschnitzter Fey.
»Du bist eine Rotkappe!« sagte Adrian, der sein Erstaunen nicht verbergen konnte.
»Ich war eine Rotkappe«, erwiderte der kleine Mann. Er streckte die Hände aus und vollführte eine Pirouette. »Falls es euch nicht auffällt: kein Verwesungsgeruch, kein totes Fleisch an meiner Haut, keine blutbesudelten Kleider. Seit Caseos Tod bin ich sauber, und das will ich auch bleiben, bis ich selbst sterbe.«
Coulter hatte den Blick gehoben und starrte die Rotkappe an, als hätte er in seinem ganzen Leben noch keine gesehen. Adrian muß den kleinen Mann nicht viel anders gemustert haben. Zumindest hatte keiner von beiden jemals eine saubere Rotkappe gesehen. Die Kappen kümmerten sich normalerweise um die Toten – die in der Schlacht Gefallenen –, befreiten sie von ihrem Blut und ihrer Haut. Wenn sie das nicht taten, erledigten sie ähnliche Aufgaben für die Domestiken, indem sie die Arbeit der Metzger verrichteten (Rugar hatte keine Metzger mitgenommen) und die
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