Fey 04: Die Nebelfestung
lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, und er setzte sich auf ihren Schoß und legte den Kopf an ihre Schulter. Nachdem sie die beiden jetzt seit Wochen beobachtet hatte, staunte Solanda immer wieder über den Klumpen. Eigentlich hätte er nicht einmal Ariannas Alter erreichen dürfen. Doch für jemanden, der nicht wußte, daß er kein echter Mensch war, wirkte er wie ein Kind, das sich unter Wasser bewegte; er hörte nicht richtig, sprach nicht ordentlich und bewegte sich nicht richtig. Sie fragte sich, wie Arianna mit ihm umgehen würde.
Dabei spielte das momentan gewiß noch keine Rolle. Arianna schlief in ihrer Lieblingshaltung, die kleine Faust fest an die Wange gedrückt. Ihre Wimpern zuckten wie im Traum. Wovon sie wohl träumte? Vom Verwandeln? Vom Verlust ihrer Mutter? Schon jetzt war ihr Leben voller Wandlungen und Verluste.
Der Fischgeruch unter Solandas Nase machte ihre Katzennatur ganz wild. Sie holte tief Luft und Verwandelte sich, spürte, wie ihr Körper in seine vertraute zweite Gestalt schlüpfte. Dann saß sie auf den Hinterbeinen neben dem Kinderbettchen, die Vorderpfoten auf den Beinen. Sie setzte die Pfoten auf den Boden und fing sofort an, sich das Gesicht zu säubern, das Öl und den Geruch aus Fell und Schnurrbarthaaren zu waschen. Das Essen war gut gewesen, besser gesagt, hervorragend. Wenn sie die Köchin nur dazu bringen könnte, das Gemüse wegzulassen.
Sie stolzierte zum Teller und schob den Spargel mit der Nase beiseite. In dieser Gestalt roch er noch schlimmer. Beinahe hätte es ihr den Magen gehoben. Sie versuchte den Geruch zu ignorieren und fing an, die Reste des Essens vom Teller zu lecken, wobei sie am linken Rand anfing und sich bis zur Mitte vorarbeitete.
Die Schwester fing an zu gurren, wie so oft, wenn sie den Klumpen beruhigen wollte. Die Inselbewohner reagierten mißmutig auf Lieder, wie Solanda in Ariannas zweiter Nacht hatte erfahren müssen. Sie hatten irgendwo gelernt, daß Musik böse sei, und sie seither geächtet. Nur Vögel tun das, hatte ihr das Kindermädchen verraten.
Von wegen Vögel! Auch die Fey taten es.
Vögel. Am Fenster hoch über dem Garten waren sie die reinste Verlockung, die vielen Vögel, die dort unten in den Bäumen herumflatterten. Mahlzeiten, auf die ihr Jagdinstinkt sofort reagierte. Aber sie wagte nicht, vom Fenster herunterzuspringen, und so sangen diese köstlichen Geschöpfe weiterhin in seliger Unwissenheit vor sich hin und warteten auf den Tag, an dem Solanda wieder frei war, den Tag, an dem sie aus jedem Insekt und jeder Maus in Sichtweite ein Festmahl machen würde.
Wenigstens hatten sie hier Fisch. Leckeren Fisch.
Über ihr giggelte Arianna. Solanda unterdrückte einen Fluch. Das Kind schlief wie ein Kätzchen. Solanda setzte sich auf die Hinterbeine und putzte abermals die Barthaare. Falls Arianna sich wieder Verwandelte, würde das Mädchen sie sofort warnen. Eine Katze hatte das Recht, ihre Mahlzeit in Ruhe zu beenden.
Dann sah sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Der Klumpen erhob sich. Die Schwester hörte auf zu gurren. Der Klumpen ging zur Wiege und blickte hinein. Das tat er hin und wieder, und jedesmal machte es Solanda nervös. Es war, als erinnerte sich der Klumpen plötzlich daran, daß er eine Schwester hatte, die er beschützen mußte.
Er packte den Rand der Wiege. Solanda konnte Ariannas körperliche Reaktion nicht sehen, aber sie hörte sie wieder giggeln. Sie mochte ihren Klumpen und streckte manchmal, wenn er zu ihr herabsah, die Ärmchen nach ihm aus.
Die Schwester warf Solanda einen Blick zu und zuckte die Achseln. Solanda seufzte. Sie mußte sich wohl oder übel wieder zurückverwandeln. Schließlich hatte sie keine Lust darauf, daß der Klumpen Arianna dazu verleitete, etwas Dummes anzustellen.
In diesem Augenblick riß der Klumpen den Kopf herum. Die abrupte Bewegung brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er fing an, mit den Armen zu rudern, stieß gegen die Wiege und kippte seitlich um.
Noch nie hatte er sich so schnell bewegt. Noch nie.
Die Schwester stürzte quer durch das Zimmer und erwischte das Bettchen, bevor es umfiel. Dann kauerte sie sich neben den Klumpen, strich ihm das Haar aus dem Gesicht und erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei.
Solanda hatte sich nicht bewegt.
Der Klumpen sah sie an. Seine Augen waren lebhaft. Sie erkannte die Intelligenz darin, eine Präsenz, die ihr auf eigenartige Weise bekannt vorkam.
Der Fisch schmeckte schal in ihrem Mäulchen nach. Sie stand auf, ging in
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