Fey 05: Der Schattenrpinz
weil er angenommen hatte, seine Enkel – Rugars Kinder – seien nicht in der Lage, ihm auf den Schwarzen Thron zu folgen. Rugad hatte gehofft, sein Urenkel besäße vielleicht die erforderlichen Fähigkeiten. Aber bis er wußte, welcher Urenkel der ältere der beiden war, würde es keinen Nachfolger geben.
Der Schwarze Thron blieb umstritten.
32
Die Landkarten waren alt, und das Zimmer roch nach Staub. Obwohl Nicholas seit dem Tod seines Vaters schon einige Male in diesen Raum hinaufgestiegen war, war er in seinen Augen doch stets dessen Zimmer geblieben. Ein Jahr nach der Invasion der Fey hatte Nicholas seinen Vater zum ersten Mal hier oben aufgespürt; er hatte damals eine lange Schriftrolle studiert, auf der die Namen aller gefallenen Inselbewohner verzeichnet waren. Jede einzelne dieser armen Seelen hatte schwer auf dem Gewissen seines Vaters gelastet, und daran hatte sich nie mehr etwas geändert. Er war auf einer Reise in die Kenniland-Sümpfe gestorben, unterwegs, um all jene Menschen zu treffen, die er immer vernachlässigt hatte.
Um sie auf seine Seite zu ziehen.
Nicholas blieb in der Tür stehen. Die Lords waren bereits vollzählig versammelt. Sie hatten sich auf ihren Plätzen rund um den langen Eichentisch niedergelassen und wirkten in ihren Staatsroben deplaziert. Dieses Zimmer war für Männer in Kriegskleidung bestimmt. Lord Millers reichverzierter Umhang schleifte über den Boden. Mit gebeugtem Rücken betrachtete Lord Canter die Karte, die Nicholas’ Vater vor einem Menschenalter an die Wand gehängt hatte. Lord Enford, der dabeigewesen war, als Nicholas’ Vater starb, war im Alter stattlicher geworden, und der Verlust geliebter Menschen hatte sich tief in sein Gesicht gegraben. Auch er heftete den Blick auf die Karte.
Es war erstaunlich, wie dick Lord Egan in den letzten Jahren geworden war. Seine breite Gestalt, viel zu massig für die einfachen Stühle ohne Lehne, nahm jetzt die gesamte Breite eines Tischendes ein. Seine Staatsrobe war doppelt so weit wie die der anderen, das teure Material dunkel und schlicht, um seine Leibesfülle zu verbergen. Früher war er ein heiterer, lebensfroher Mann gewesen, aber seit dem Tod seines Sohnes bei der ersten Invasion der Fey erfüllte ihn tiefe Bitterkeit.
Offenbar hatte Lord Canter unmittelbar vor Nicholas’ Erscheinen etwas gesagt. Als Nicholas ins Zimmer trat, hielt er mitten im Satz inne. Canter hatte Nicholas noch nie gemocht, ein Gefühl, das auf Gegenseitigkeit beruhte. Im Laufe der Jahre hatte Canter seinen Reichtum, den er durch Kleidung und Schmuck gerne zur Schau stellte, beträchtlich vermehrt. Seine Kleider, früher aus Nye importiert, wurden jetzt von den besten Schneidern der Insel angefertigt, und es kursierten sogar Gerüchte, daß er einen Teil seiner Garderobe direkt von den Fey bezog.
Nicholas würde ihn wie immer genau im Auge behalten.
Lord Zela saß auf einem Stuhl im hinteren Teil des Raumes. Den einen Fuß hatte er auf einer Querstrebe des Stuhls abgestützt, den anderen auf dem Boden. Als er Nicholas bemerkte, nickte er ihm zu. Sie waren gleich alt. Zela hatte Lord Holbrooks Nachfolge als einziger Geldlord des Rates übernommen. Nicholas wünschte, es gäbe noch mehr Geldlords im Rat. Sie waren Geschäftsleute, die es aus eigenem Antrieb zu etwas gebracht hatten und den Titel nicht einfach geerbt, sondern als Anerkennung ihrer Verdienste erhalten hatten. Schade, daß gerade der älteste Sohn von Lord Holbrook, ein sympathischer Mann, auch einen ausgezeichneten Berater abgegeben hätte.
Auch Zela war ein netter Kerl. Er war klein und stämmig, und seine Hände waren mit Narben übersät, die er sich während einer Feuersbrunst in seinen Stallungen zugezogen hatte. Er hatte den größten Teil seines Besitzes bei der ersten Invasion der Fey verloren, aber sein ausgezeichneter Geschäftssinn und die Fähigkeit, im richtigen Moment die richtige Entscheidung zu treffen, hatten ihn innerhalb von zehn Jahren zu einem der reichsten Männer der Insel gemacht. Nicholas selbst hatte Zela nach Lord Holbrooks Tod zu dessen Nachfolger ernannt und sich dabei gegen die Einwände der anderen Lords durchgesetzt. Bis jetzt hatte Nicholas seine Entscheidung noch nie bereut.
Vor der Tür standen einige Wachen. Nicholas erteilte ihnen Anweisung, nur seine Kinder und niemanden sonst eintreten zu lassen.
Dann schloß er die Tür.
»Sire«, meldete sich Canter sofort zu Wort, während er mit einem Nicken von Nicholas’ Ankunft
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