Fey 05: Der Schattenrpinz
seines steinernen Körpers konnte er sich flinker bewegen – und barg das Gesicht in den Händen. Gabe berührte das geisterhafte, kindliche Kinn und hob Sebastians Gesicht vor sein eigenes.
Weißt du noch, was ich dir erzählt habe, über die Gefahr?
Ja. Mit den Jahren war Sebastians Stimme tiefer geworden. Es klang, als redete ein Kind mit der Stimme eines erwachsenen Mannes.
Ich mußte in meinem eigenen Körper zu dir kommen. Ich muß dich von hier wegbringen.
In die Stadt?
Gabe fühlte, wie sich kindliche Vorfreude in Sebastians Körper ausbreitete. Sebastian hatte nur selten Ausflüge in die Stadt gemacht, aber es hatte ihm immer sehr gefallen. Seine Familie war weniger begeistert gewesen, und der Spott, den Sebastian geerntet hatte, hatte Gabe fast das Herz gebrochen.
In meine Heimat. Willst du mich besuchen? Du wurdest dort geboren.
Und du bist hier geboren.
Gabe lächelte. Das stimmt. Und dann haben sie uns vertauscht.
Auch Sebastian lächelte. Jetzt befanden sie sich wieder auf vertrautem Boden. Diese Geschichte hatten sie einander schon viele Male erzählt. Kann Arianna mitkommen?
Noch nicht, sagte Gabe. Vielleicht später.
Und mein Vater?
Er muß hierbleiben. Er hat hier zu tun.
Es wird ihm nicht gefallen, wenn ich mitgehe.
Es wird ihm nicht gefallen, wenn du stirbst.
Sebastians Augen flackerten, und vor ihnen erschien die schlanke Gestalt von Gabes Mutter. Sie lag lang ausgestreckt auf dem Rücken, ihr Kopf vom Weihwasser halb geschmolzen. Sebastian hatte monatelang um sie geweint. Gabes Vater stand neben ihr. Er sah völlig verzweifelt aus.
Dann verschwand das Bild wieder.
Werde ich auch so sterben? fragte Sebastian. Ein Zittern überlief seinen wirklichen Körper und rüttelte die beiden Gedankenwesen durch, so wie ein Windstoß die Blätter an den Zweigen zaust.
Gabe schüttelte den Kopf und dachte an seine Vision. Das Bild von Sebastian auf dem Boden und mit einem Messer im Rücken manifestierte sich zwischen ihnen.
Bin ich das? fragte Sebastian leise.
Wenn du nicht mit mir kommst.
Was sind das für Leute?
Ich weiß es nicht, sagte Gabe. Sie sehen aus wie Fey, aber ich kenne sie nicht.
Ich kenne sowieso keine Fey.
Außer Solanda.
Sie nennt mich immer Klumpen. Fey sind gemein.
Wir beide sind halbe Fey, widersprach Gabe. Deine Mutter war eine Fey.
Das Gesicht von Gabes Mutter erschien zwischen ihnen. Sie blickte die beiden Jungen an. Im Dämmerlicht sah ihr schmales Antlitz wunderschön aus. Er lächelt, sagte sie. Ich mag es, wenn er lächelt.
Du siehst komisch aus, sagte Sebastian leise. Ich hatte nicht gedacht, daß du so wirklich bist wie andere Leute. Ich dachte, du wärst wie ich.
Ich bin wie du, entgegnete Gabe. Er starrte immer noch auf das verschwimmende Bild seiner Mutter. Sie sah jung aus, aber auch irgendwie gefährlich. Ihre feyhaften Züge waren nicht zu übersehen. Ihr ganzes Gesicht war nach oben gezogen: ihre Augen, ihre Wangenknochen, sogar ihre Mundwinkel. Sie war Sebastian eine gute Mutter gewesen. Daß Gabe überhaupt lebte, hatte sie nicht gewußt.
Du hast deinen eigenen Körper, sagte Sebastian jetzt. Er lehnte sich gegen das Bild seiner Mutter, als müsse sie ihn stützen. Aber wenn du einen eigenen Körper hast, wofür brauchst du dann meinen?
Ich brauche deinen nicht, Sebastian, erklärte Gabe verzweifelt.
Es drängte ihn, durch Sebastians Augen das Zimmer zu betrachten. Jeden Augenblick konnte jemand kommen, um nach dem Prinzen zu sehen.
Die Zeremonie mußte bald beginnen. Ich habe deinen Körper nur besucht, weil wir Verbunden sind.
Und warum kann ich dann deinen nicht besuchen? Sebastian verschränkte die dünnen, geisterhaften Arme vor der Brust. Er konnte ziemlich stur sein. Wenn Gabe jetzt nicht die richtige Antwort einfiel, würden sie dieses Zimmer nie verlassen.
Es ist eine Verbindung, stöhnte Gabe. Auch du müßtest meinen Körper besuchen können. Du hast nur bis heute nicht gewußt, daß ich überhaupt einen besitze.
Warum kann ich dann nicht hierbleiben und mich mit dir Verbinden? Dann würden sie nur meinen Körper verwunden, aber nicht mich.
Gabe schüttelte den Kopf. Das könnte die Verbindung durchbrechen und uns beide töten, erklärte er. Es ist besser, wenn du mitkommst.
Kann ich meinem Papa Bescheid sagen? fragte Sebastian.
Später, drängte Gabe. Ich fürchte, wenn wir nicht bald gehen, wird uns beiden etwas zustoßen.
Ich will nicht gehen, erwiderte Sebastian trotzig.
Ich weiß, seufzte Gabe, aber wir haben keine
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