Fey 05: Der Schattenrpinz
der baufälligen und jetzt leeren Kirche. Durchaus angemessen, fand Rugad, wenn man bedachte, was er jener Religion anzutun gedachte, die ihm schon so viel Kummer bereitet hatte.
Und ihm eine derartig glänzende Gelegenheit eröffnet hatte.
Er wedelte im Gehen mit der Hand, um den Torkreis zu öffnen. Das Tor, eben noch eine Ansammlung blinkender Lichtpunkte, weitete sich zu einem großen, von Lichtern gesäumten Kreis, öffnete sich hinter der baufälligen Kirche wie ein aufgesperrter Rachen. Rugad tauchte hinein, watete über den halb durchsichtigen Boden und landete schließlich wohlbehalten in seinem Zelt. Er traute den Dorfbewohnern immer noch nicht genug, um sich in einer ihrer Hütten einzuquartieren.
Seit seiner Ankunft hatte er schon acht Schattenländer geschaffen, eines für jedes Dorf entlang der Schneeberge. Es gab noch mehr armselige Ansammlungen von Hütten, Orte, die zu klein waren, um einen eigenen Namen zu tragen, aber deren Bewohner schien es wenig zu kümmern, wer sie regierte, solange sie genug zu essen hatten. Diese Einstellung und die ungeheure Armut entsetzten Rugad. Er hatte immer gedacht, die Blaue Insel sei ein reiches Land. Das hatten ihm jedenfalls die Nye erzählt. Er hatte nicht erwartet, daß in diesem Königreich irgend jemand Not litt.
Aber Armut schien hier an der Tagesordnung zu sein. Unterernährte Kinder mit aufgeblähten Bäuchen, junge Mütter mit verfaulten Zähnen und Beulen auf dem Nacken, Männer mit von Rachitis verkrümmten Beinen. Armut, Hunger und Hoffnungslosigkeit – und das alles war die Schuld der Regierung in Jahn. Bis vor zwei Wochen hatten die meisten dieser Inselbewohner noch nie einen Fey gesehen. Sie hatten die Fey für eine Legende gehalten, die erfunden worden war, um den Abbruch des Handels mit Galinas zu rechtfertigen. Sie hatten geglaubt, die Regierung habe den Dorfbewohnern willkürlich die Lebensgrundlage entzogen, um sie aus den Schneebergen zu vertreiben.
Seit zwei Jahrzehnten hungerten sie jetzt schon, ohne zu wissen, warum, allein ihre Willenskraft hielt sie noch am Leben.
Als die Fey ihre Dörfer eroberten, war es den Einwohnern bereits gleichgültig geworden, wer über sie herrschte. Alles, was sie wollten, war etwas zu essen, ein Dach über dem Kopf und das Versprechen, daß die Tage des Wohlstands zurückkehren würden.
Rugad ließ sich auf der Pritsche im Inneren seines Zeltes nieder, zog die Stiefel aus und massierte seine Füße. Er hatte das Dorf von einem Ende zum anderen durchquert, aber es unterschied sich in nichts von anderen Ortschaften. Er hatte schon so viele von ihnen gesehen, daß er sich nicht einmal an den Namen dieses Dorfes erinnern konnte. Während der letzten fünf Jahre hatte er versucht, die Sprache der Inselbewohner zu erlernen, damit er nicht nur als Eroberer, sondern auch als Politiker auftreten konnte. Aber diese apathischen Kreaturen kümmerte es überhaupt nicht, wer oder was er war.
Ihr mangelnder Widerstand verdarb ihm beinahe die Freude über die geglückte Eroberung. Als Rugad an den Garnisonen haltgemacht hatte, die seine Truppen an den nördlichen Straßen errichteten, hatte er gehofft, etwas von dem Erlernten anwenden zu können. Die Blaue Insel konnte doch nicht überall in einem so heruntergekommenen, mitleiderregenden Zustand sein. Rugad schätzte Rugars Fähigkeiten ziemlich gering, aber so gering dann doch nicht.
Er lehnte sich zurück und blickte an die braune Zeltdecke. Schon vor langer Zeit hatte er sich angewöhnt, seine Behausungen in Schattenländern so schlicht wie möglich zu halten, denn im Schartenland verblich ohnehin jede Farbe. Rugad haßte es fast so sehr, sich dort aufzuhalten, wie er es verabscheute, zu lange an einem Ort zu verweilen. Seine Schattenländer waren stabile, enge, praktische Kisten. Manche Fey konnten in ihnen nicht einmal aufrecht stehen. Von außen waren sie für das normale Auge unsichtbar. Nur ein paar blinkende Lichtpunkte, die Nichteingeweihte für Glühwürmchen halten mochten, markierten den Eingang.
Nur wenn Rugad sich ausruhte, spürte er sein Alter. Er wußte, daß er noch etliche Jahre vor sich hatte – mindestens fünfzig seiner Visionen waren noch nicht in Erfüllung gegangen, und in ihnen allen sah er älter aus als jetzt –, aber manchmal fühlte er sich schon wie ein Greis. Er war noch immer voller Tatendrang und konnte es mit einem Fey, der nur ein Viertel so alt war wie er, aufnehmen, aber sobald er sich nicht mehr bewegte, schmerzten seine
Weitere Kostenlose Bücher